Blutrote Sehnsucht
war die Bibliothek der einzige Raum im Haus, der für die Zeremonie geeignet war. Als sie unsanft die Tür öffnete, sah sie drei Männer, die sich dort versammelt hatten. Squire Fladgate bedachte Ann mit einem missbilligenden Stirnrunzeln von seinem Platz am Feuer, Reverend Cobblesham erhob sich aus seinem Sessel und strahlte, als wäre eine Hochzeit, selbst eine unter diesen Umständen, stets ein Grund zur Freude. Erich war in seiner dandyhaftesten Aufmachung erschienen: schlüsselblumengelbe Hose, ein Rock aus feinstem blauen Tuch, eine cremefarbene Weste, die über seinem Bauch schier aus den Nähten platzte, und eine so hohe Schalkrawatte, dass er kaum den Kopf wenden konnte. Er stand vor der Anrichte und schenkte sich einen Brandy ein. Sein Entsetzen über ihr schlichtes Kleid war fast schon komisch.
»Was soll das? Warum trägst du nicht das Kleid, das ich dir hinaufgeschickt habe, Cousine?«, fragte er mit nicht zu überhörender Empörung. »Willst du mich vor den Kopf stoßen?«
»Ich habe heute viel zu tun und keinen Nerv für Schnickschnack«, entgegnete sie ruhig.
Mr. Brandywine, der Verwalter ihres Onkels, und Mr. Yancy, der Anwalt der Familie, waren noch nicht erschienen. Wegen Mr. Brandywine machte Ann sich keine Sorgen, aber Mr. Yancy musste den weiten Weg aus Wells herkommen. Hatte Jennings ihn gefunden? War er bereit, die Fahrt zu unternehmen?
Erich kam mit großen Schritten auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. »Du kannst mich vor den Kopf stoßen, doch das Ergebnis wird das Gleiche sein.« Er blickte auf, als Mrs. Simpson sich mit einer Verbeugung aus dem Raum zurückziehen wollte. »Simpson, Sie werden hier als Zeugin gebraucht.«
Mrs. Simpson sah aus, als fiele sie jeden Moment in Ohnmacht. Aber sie kam wieder zurück.
»Ach, du meine Güte!«, staunte Ann. »Da sind ja auch Squire Fladgate und Mr. Cobblesham! Ich fühle mich geehrt, meine Herren.« Dann wurde ihre Stimme hart. »Obwohl ich es doch etwas verwunderlich finde, dass man mich verheiratet will, noch bevor mein Onkel unter der Erde ist. Erstaunlich, wie Sie Ihre Prioritäten setzen, Reverend Cobblesham.«
»Wir hielten es für das Beste so«, schnaubte Richter Fladgate.
»Aber, aber! Wozu die Eile?«, sagte Ann missbilligend. »Hoffentlich haben Sie sich nicht umsonst hierherbemüht.«
Hinter ihr in der Halle hörte sie Schritte. Die Tür wurde geöffnet, und gedämpfte Männerstimmen grüßten. Zwei! Gott sei Dank. »Sollten wir nicht auf unsere anderen Gäste warten, meine Herren?«, fragte sie.
»Gäste?« Erich war misstrauisch. Und er hatte auch allen Grund dazu.
»Betrachten Sie die anderen Herren als Gäste der Braut«, sagte sie freundlich, weil immerhin die Möglichkeit bestand, dass ihr Schachzug danebengehen würde. Vielleicht würden diese »Gäste« sich ja auf Erichs Seite schlagen. Doch sie hatte sich noch nie so stark gefühlt wie an diesem Tag. War das so, weil Stephan an sie glaubte? Möglicherweise kannte er sie ja besser als sie sich selbst.
Polsham führte Mr. Brandywine und Mr. Yancy in die Bibliothek und zog sich dann wieder zurück. Der Verwalter war ein kleiner, schlanker und tatkräftiger Mann. Mr. Yancy hingegen war eine hochgewachsene, elegante Erscheinung, deren viele Falten nicht verbergen konnten, dass er einst ein sehr gut aussehender Mann gewesen war. Beide hatten eine Mappe mit Papieren dabei. Mr. Yancys war aus feinstem Leder. Sie blickten sich im Zimmer um und erfassten die Lage, bevor sie sich Ann zuwandten. In Mr. Brandywines Blick funkelte Ärger, Mr. Yancy lächelte nur schwach. Seine alten Augen wirkten weise, selbst für jemanden, der erst siebzig Jahre alt war. Gott, wie ihre Maßstäbe sich neuerdings verändert hatten!
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Erich.
Ann ergriff das Wort. »Mr. Brandywine, Mr. Yancy – ich glaube, Sie kennen Richter Fladgate und Reverend Cobblesham. Aber darf ich Ihnen meinen Cousin, Mr. Erich van Helsing, vorstellen? Und die Dame hier ist Mrs. Simpson.« Der Köchin war anzusehen, dass sie viel lieber woanders wäre.
»Brandywine, ich weiß nicht, was Sie bei einer Trauung wollen.« Der Friedensrichter plusterte sich auf und gab sich alle Mühe, die Autoritätsperson herauszukehren. »Und ich glaube kaum, dass es für diese Zeremonie einen Anwalt braucht, Yancy. Die Heiratserlaubnis ist in Ordnung, das versichere ich Ihnen.«
»Wer sind diese Störenfriede?«, fauchte Erich.
»Mr. Brandywine ist der Verwalter meines Onkels, und Mr.
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