Blutrote Sehnsucht
getötet werden. Wir können nicht riskieren, das Gleichgewicht zu stören.«
Freya wandte den Blick ab.
»Und was ist mit den Wachen und den Dienstboten?«, fragte Ann, deren Stimme vor Bewegung zitterte. »Sie waren unschuldige Menschen.«
Freya warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Das war nötig«, fauchte Dee. »Schritte, die getan werden mussten, um unsere Ziele zu erreichen.«
Stephan atmete tief durch, um sich zu sammeln. Gegen Rubius’ Töchter würde er seine ganze Kraft benötigen. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie vergeblich seine Bemühungen sein würden oder wie viel kostbare Kraft er heute beim Liebesspiel mit Ann verbraucht hatte. Aber dann stiegen Erinnerungen in ihm auf: an die sichere Gewissheit ihrer Liebe in Anns Augen, an ihre Berührung, die so wundersam für ihn war und für sie sogar noch mehr, wenn sie mit ihren Händen über seinen Körper fuhr, an das Wunder des Geschlechtsakts, der für ihn wieder zu einem Liebesakt geworden war ... Nein, er bereute nicht, Ann heute noch einmal geliebt zu haben. Er wusste, wie das hier vermutlich enden würde, und er würde auch nicht vor dem Tod zurückschrecken. Er musste nur einen Weg finden, Ann davor zu bewahren. Und nicht nur vor dem Tod ...
»Meine Macht ist seit Mirso noch gewachsen«, sagte er und versuchte, eine Sicherheit in seinen Ton zu legen, die er nicht empfand. »Ihr werdet feststellen, dass ich keine leichte Beute mehr bin. Doch wenn ihr sie gehen lasst, werde ich mich euch kampflos unterwerfen.«
»Dein Fehler, Harrier «, höhnte Dee. »Deine Macht wird es uns sogar noch leichter machen, dich jetzt zu erledigen. Und Freya und ich werden zusammen kein Problem mit dir haben.« Ihr schien dies alles großes Vergnügen zu bereiten. Ihre Augen röteten sich, sie war auf jeden Angriff Stephans vorbereitet. Er konnte spüren, wie ihre Schwingungen intensiver wurden. »Freya, hilf unserem Diener hier, Miss van Helsing dieses Fläschchen Laudanum zu verabreichen.«
Freyas Miene drückte Bedauern aus.
»Die ganze Flasche?«, fragte sogar Van Helsing ungläubig.
»Wie du selbst gesagt hast, ist sie stark ...« Die Röte in Dees Augen vertiefte sich.
Mit schmalen Lippen trat Freya vor, und auch ihre Augen wurden rot. Jetzt oder nie. Gefährte! Ein roter Schleier legte sich über den Raum, und Stephan nahm seinen ganzen Willen zusammen und richtete ihn gegen Freya, die schwankte und stehen blieb.
Eine Druckwelle psychischen Zwangs erfasste ihn und stieß ihn beinahe zu Boden. Welle um Welle packte ihn. Dee trat vor und lächelte ihn grimmig an.
»Du willst uns herausfordern?« Die Worte echoten und dröhnten durch den Raum, als wären sie die Stimme eines Gottes. Langsam sank Stephan auf die Knie. Sein Willen konnte Freya nicht erreichen. »Freya!«, blaffte Dee.
Freyas Augen nahmen ein noch dunkleres Rot an, als sie auf Ann zuging. Stephans Sicht verdunkelte sich an den Rändern, während er gegen den geistigen Zwang ankämpfte, mit dem Dee ihn schier bombardierte. Er sah, wie sich Anns Augen weiteten und dann blicklos wurden.
»Gib ihr die Flasche, Van Helsing«, flüsterte Freya.
Stephan warf seinen Geist gegen die Barriere, die ihn zurückhielt. Er zitterte. Die Schwärze breitete sich aus, bis er Ann, Freya und Van Helsing am Ende eines langen Tunnels zu sehen glaubte. Van Helsing entkorkte die Flasche und hielt sie Ann hin, die eine zitternde Hand ausstreckte und sie nahm. Sie hob sie an die Lippen.
»Nein!« Der Schrei kam direkt aus Stephans Seele.
Und dann schlug die Schwärze über dem Tunnel zusammen.
Stephan erwachte nur allmählich. Sein Kopf pochte, als wäre er gegen einen Steinboden geschlagen worden. Er versuchte, sich zu erinnern. Dee hatte ihn mit ihrem Willen gelähmt, während Ann ...
»Ann«, murmelte er und versuchte, den Kopf zu heben. Er prallte auf den harten Stein herab, als eine gewaltige Willenskraft ihn niederzwang. Dee und Freya traten in seinen Sichtkreis und beugten sich über ihn. Ihre Augen waren purpurrot, und während er zu ihnen aufblickte, vertiefte sich die Farbe zu Burgunderrot. Bekleidet waren sie mit den durchsichtigen Tüchern, die sie auf Mirso getragen hatten, oben bis zum Nabel und unten bis zur Taille aufgeschlitzt, was es ihnen leichter machte, sich seiner zu bedienen. Er war nackt, wie er bemerkt hatte. Im Schein des mächtigen Feuers, das er aus den Augenwinkeln sehen konnte, glühten die Gesichter der Töchter, als wären sie nicht von dieser Welt.
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