Blutrote Sehnsucht
zuschulden kommen lassen, Alice. Ich fürchte aber, dass dir ein Unrecht zugefügt worden ist.«
Für einen winzigen Moment erschien ein furchtsamer Ausdruck in ihren Augen, doch dann senkte sie den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein. Mir hat niemand was getan.«
»Willst du es mir nicht erzählen?«, versuchte Ann, sie zu überreden. »Ich kann dir helfen, weißt du.«
Anns mitfühlender Gesichtsausdruck trieb dem Mädchen die Tränen in die Augen. »Ich kann nicht, Miss. Er würde ...«
Ann trat zwei Schritte auf sie zu, bevor sie die unsichtbare Barriere erreichte, die sie immer zwischen sich und anderen errichtete. Sie legte einen noch sanfteren Ton in ihre Stimme. »Mein Cousin kann dir nichts antun, solange du dich unter meinem Schutz befindest. Ich werde dich fortschicken ...«
»Nein! Tun Sie das bitte nicht, Miss! So eine bin ich nicht, das schwöre ich. Ich hätte nie ... wenn nicht ...«
»Psst.« Ann unterbrach sie mit erhobener Hand und sagte ruhig und beschwichtigend: »Du hast mich falsch verstanden, Alice. Ich meinte, dass ich einen sicheren Ort für dich suchen und dir deinen vollen Lohn bezahlen werde, und sobald mein Cousin fort ist, kannst du sofort wieder hierher zurückkehren.« Sie hätte es dabei belassen sollen, doch sie wollte wissen, was Erich sich geleistet hatte. Das Mädchen vergewaltigt? Sie bezweifelte, dass er Alice mit Gewalt hätte nehmen müssen.
»Ich ...« Alice stockte und schniefte ein bisschen. »Ich dachte, er wollte bloß ... na ja, Sie wissen schon. Ich mag das selbst ganz gern. Aber dann ...« Hier brach sie ernsthaft in Tränen aus.
»Schon gut, Alice.« Ann wünschte, sie könnte dem Mädchen den Arm um die Schultern legen.
Mrs. Simpson führte Alice zu einem Stuhl, auf den sie sich nur mit größter Vorsicht setzte, und ein leises Stöhnen entrang sich ihr sogar dabei.
Anns Brauen zogen sich zusammen. »Was hat er dir angetan, Alice?« Sie musste es wissen.
Die derben Gesichtszüge der jungen Frau verschwanden hinter dem Taschentuch, das sie an ihren Mund drückte. »Oh, das könnte ich Ihnen niemals erzählen, Miss.«
Ann ließ ihre Stimme so beruhigend wie möglich klingen. »Doch, das kannst du, Alice. Du kannst mir alles sagen. Mrs. Simpson wird dir beim Packen helfen. Und Jenning bringt dich ...« Wohin? »Hast du Familie in der Gegend?«
»Sie sind schrecklich nett zu mir, Miss ...« Alice spähte hinter dem Taschentuch hervor.
Ann lächelte. »Und was immer du mir auch erzählst, es wird nichts daran ändern, dass ich dich mag, Alice. Und ich schätze deine Arbeit wirklich sehr. Ich bin jetzt für diesen Haushalt verantwortlich, und es ist meine Pflicht zu wissen, was hier vorgeht.«
Die arme Alice bekam Schluckauf, und ihr rot angelaufenes Gesicht bildete einen unschönen Kontrast zu ihrem rötlich blonden Haar. »Nun, er sagte, dass er es ... na ja ... von hinten mag«, begann sie stockend. »Und ich hab mir nichts dabei gedacht, weil Männer das manchmal wollen, doch dann wollte er gar nicht meine ... Sie wissen schon, sondern ...« Jetzt konnte sie gar nicht mehr aufhören zu reden, und auch die Tränen flossen ohne Unterlass. »Und als ich ihm sagte, das ginge nicht ohne Öl oder Butter, weil ich doch entgegenkommend sein wollte und alles, meinte er, er würde mich auf andere Weise ... schmieren, und dann ist er einfach in mich reingestoßen, und ich hab geweint und ihn angebettelt aufzuhören. Doch er hat nur gelacht ...« Ihre Stimme verlor sich in einem schrillen Heulen.
»Diese Bestie!«, murmelte Mrs. Simpson und kniete sich neben Alice.
Ann straffte die Schultern und biss sich auf die Lippe, als könnte sie so die Wut in sich bezähmen. Irgendwie war sie überrascht, dass jemand wie Erich mehr tat als nur Sprüche klopfen. Aber seine Verderbtheit kannte offensichtlich keine Grenzen. »Mrs. Simpson«, wandte sie sich an die Köchin, »hat Alice Verwandte, bei denen sie unterkommen kann?«
»Eine Cousine drüben in Wedmore.«
»Dann helfen Sie ihr packen. Ich werde Doktor Denton holen lassen, damit er sie vor der Abfahrt untersucht.« Und diese Bestie Erich war der Mann, den ihr Onkel gern als ihren Ehemann sähe? Ann drehte sich der Magen um. Aber wenigstens würde ihr abscheulicher Cousin Alice nicht noch einmal missbrauchen können.
Außerstande, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bekommen, stapfte Ann wütend durch das Haus und suchte Lavendelwasser, Riechsalze und mehrere Garnituren saubere Bettwäsche für ihren Onkel
Weitere Kostenlose Bücher