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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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Zittern.
    Der Kutscher sprang vom Bock und schlug mit dem Griff seiner Pferdepeitsche um sich. »Zurück!«, schrie er. Ein echter Kämpfer, dachte Stephan, als der Mann sich einen Weg zu dem Mädchen bahnte. Die Menge wich zurück, ebenso sehr aus Angst vor dem, was sich vor ihren Augen abspielte, wie aus Respekt vor Jennings’ Peitsche. Dann packte der Kutscher Jemmy an der Schulter und zog ihn von dem Mädchen weg, das kraftlos neben dem Wagen zusammenbrach. Auch Jemmy taumelte und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
    »Alles in Ordnung, Miss van Helsing?«, fragte der Kutscher. Seine Stimme war sanft, doch er machte keine Anstalten, sie aufzuheben.
    Verdammt! Würde ihr denn keiner helfen? Stephan drückte weit die Fensterläden auf. In dem Moment kam der Wirt aus der Schankstube auf den Hof gelaufen. Stephan beschattete mit einer Hand die Augen und rief: »He, ihr da unten! Hört auf, so dumm herumzustehen, und helft der Frau!«

5. Kapitel
    A nn blickte zu der ärgerlichen Stimme auf und sah den Mann aus dem Wald, der sich aus dem Fenster beugte und die Augen zusammenkniff, als störte ihn die Sonne. Das lange schwarze Haar, das ihm auf die Schultern fiel, ließ ihn wie einen Prinzen aus einem fernen, exotischen Land aussehen. Er schien sehr aufgebracht zu sein. Was hatte er geschrien? Das Denken fiel ihr schwer. Sie versuchte zu atmen, aber sie war immer noch zu erfüllt von den Bildern und Gefühlen, die sie bei Jemmys Berührung überflutet hatten. Sein trauriges kurzes Leben zog an ihr vorbei, der Missbrauch, die Angst, sein heimlicher, unterdrückter Hass auf die Welt. Sein Übergriff auf das erste Mädchen, das er begehrt hatte, seine Liebe zu Katzen, die kleinen Diebstähle, der dumpfe Groll. Ihr schwirrte der Kopf von dem vielschichtigen Wesen des Jungen. Wie dachte man über Menschen, wenn man alles über sie wusste? Und all das, was sie über andere wussten ... Ann blickte verstohlen zu dem stämmigen Burschen namens Harris hinüber, der Jemmy, der ebenso benommen aussah, wie sie sich fühlte, stützte. Seine Augen sprühten vor Furcht und Hass.
    Der Wirt der Schenke kam zu Ann herübergeeilt, aber sie hob abwehrend die Hand. »Nein, nein, es geht mir gut«, sagte sie leise. Der untersetzte Mann streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen, doch Jennings hielt ihn zurück.
    »Fassen Sie sie nicht an, Mr. Watkins! Das müssten Sie doch wissen.«
    Ann lächelte den Kutscher dankbar an. Jemmys Leben und Erfahrungen rückten gerade weit genug in den Hintergrund, dass sie wieder ruhiger atmen konnte. Sie zog sich auf die Stufen der Kutsche und blieb dort schwankend stehen. Ihr Blick glitt wieder zu dem Fenster über dem Eingang, aber der Fremde war nicht mehr zu sehen.
    Dafür stapfte Squire Fladgate in den Hof. »Da sind Sie ja, Mädchen! Und was soll das alles hier? Sie kommen zu spät. Hinein mit Ihnen.« Ungeduldig bedeutete er ihr einzutreten. Sie näherte sich vorsichtig der Tür. Die Männer, die ihr im Weg standen, wichen zurück. Niemand wollte sie jetzt noch berühren. Squire Fladgate sah mit schmalen Augen Jemmy an. »Was ist mit dir, Mann? Hast du einen über den Durst getrunken?«
    »Er hat sie angefasst, und dabei hat sie ihn irgendwie verzaubert«, knurrte Harris.
    »Unsinn«, fauchte der Friedensrichter. Aber er schien sich unwohl zu fühlen und ging Ann sichtlich aus dem Weg.
    Sie straffte sich. Sie musste seine Fragen beantworten, sonst würden die Leute nicht aufhören, ihr zuzusetzen, und durch sie auch ihrem Onkel.
    Richter Fladgate nahm an einem langen Tisch im Schankraum Platz. Der Raum hatte eine niedrige Decke, und in dem riesigen Kamin prasselte ein munteres Feuer. Die Bänke und Stühle waren zerkratzt von Jahren des Gebrauchs, doch der Raum war sehr behaglich. »Nun setzen Sie sich schon, Mädchen!«
    Ann betrachtete die Möbel und dachte, wie viele Leute dort vor ihr gesessen hatten. »Ich ... ich glaube, ich bleibe lieber stehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir«, flüsterte sie. Die anderen Männer drückten sich in der Nähe des Kamins herum. Die Menge schien sich ständig zu vergrößern.
    »Hm. Na schön. Wie Sie wollen.« Der Friedensrichter spreizte die Hände und legte die Fingerspitzen aneinander. Seine Stimme hallte gebieterisch durch den Raum, nachdem er sich geräuspert hatte, und begann: »Wir sind hier, um den Fall Molly Flanagan und ihren Tod zu untersuchen.« Hier zog er die Brauen hoch und starrte Ann vielsagend an. »Einen Tod, dessen Umstände

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