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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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mich nicht, Bruder Flavio?«, fragte er mit rauer Stimme.
    Flavio sah ihn immer noch nicht an. »Sicher erkenne ich dich, Junge.«
    Stephan blickte zu ihm auf. Seine Augen brannten vom Schlafmangel. Er war um diesen Mann herumgetollt, wenn Flavio die Gänse des Klosters gehütet hatte, und er hatte ihn zum Lächeln gebracht, indem er an der Kordel gezogen hatte, die die Mönchskutte zusammenhielt. Doch nun hatte Stephan kein Lächeln mehr zu erwarten, sondern nur Verurteilung und Kritik. Für Flavio und seine Gattung war er ein Verbrecher. Und für sich selbst ebenfalls.
    »Du schämst dich meiner.«
    Flavios Schultern sackten herab, und Stephan wusste, dass es stimmte. »Aber du wirst mich wieder mit Stolz erfüllen«, flüsterte er. »Du bekommst noch eine Gelegenheit, deine Sünden wiedergutzumachen.«
    Stephans Kehle wurde so eng, dass er keine Antwort mehr herausbekommen hätte.
    Flavio straffte sich, griff in die Tasche seiner Kutte und zog ein Stück Seife daraus hervor. »Iss und wasch dich«, befahl er und schlüpfte wieder in die Rolle des Wächters. »Sie werden bald hier sein.«
    Tatsächlich konnte Stephan spüren, dass die Sonne unterging. Er blickte auf die Seife in seiner Hand. Der scharfe Geruch von Lauge durchdrang den Raum und vermischte sich mit dem des Feuers im Kamin und den angenehmeren Aromen von Olivenöl, gebratenem Fleisch und reifem Obst. Flavio wandte sich ab und eilte hinaus, als befürchtete er, dem Büßer schon zu viel Trost gespendet zu haben.
    Stephan atmete tief ein. In gewisser Weise war dies ein entscheidenderer Moment als die Verpflichtung, die er am vergangenen Abend Rubius gegenüber eingegangen war. Nun konnte er sich eine Vorstellung von dem beängstigenden Weg machen, der vor ihm lag. Er verdiente Flavios hartes Urteil und sein eigenes. Die Aussicht, zu baden und zu essen, um sich für die Schwestern bereit zu machen, war dagegen unerträglich. Würde er den einzigen Weg zurück verschmähen?
    Er wollte sterben.
    Aber sie würden ihn nicht mit dem Tod belohnen. Der Tod war keine angemessene Wiedergutmachung.
    Der Wasserdampf, der die Luft erfüllte, drang dick und heiß in seine Lungen.
    Wiedergutmachung zu leisten war, das Unerträgliche zu tun.
    Mit Mühe hob Stephan den Kopf, stand auf und stieg, die Seife in der Hand, ins heiße Wasser.
    Stephans Kopf fuhr hoch bei Mrs. Simpsons lang gezogenem Seufzer, mit dem sie es sich in dem Sessel bequem machte. Es war sinnlos, den Erinnerungen nachzuhängen. Tatsächlich war es sogar so, dass die Emotionen, die sie in ihm hervorriefen, ihm sagten, dass sein Training selbst jetzt noch nicht vollständig war. Er musste seine Empfindungen unterdrücken und sich auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren.
    Die Kerzen zischten und knisterten. Da es kurz vor Morgengrauen sein musste, blies Stephan sie aus. Im Dunkeln wirkte die zierliche Gestalt des Mädchens sogar noch verletzlicher und einsamer. Er blickte zu Mrs. Simpson hinüber. Sie würde nicht auf Miss van Helsing aufpassen können. Und wenn schon? Das Mädchen befand sich in einem komatösen Zustand und war dem Tod schon nahe. Und er hatte eine Mission zu erfüllen. Er würde in seinem Zimmer im Gasthof warten und sich mit Gesängen und Meditation vorbereiten. Hier hatte er keine Verpflichtung. Er war Rubius und seinen Töchtern verpflichtet, die so hart gearbeitet hatten, um ihn zu dem zu machen, was er war. Und er war seiner Gattung und ihrer Zukunft verpflichtet, seiner eigenen Zukunft und der von ihm erhofften Zuflucht auf Mirso.
    Mrs. Simpsons Kopf sank immer tiefer auf ihre Brust, sah er.
    Nein, so ging das nicht. Er holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen, als ihm bewusst wurde, was er vorhatte.
    Dann stand er auf, um vor die alte Frau zu treten. Er sammelte seine Kräfte, gerade genug, um das Zimmer in einen rötlichen Dunst zu tauchen, und rüttelte sanft an ihrer Schulter. Schlagartig erwachte sie und sah sich ängstlich um. Aber als sie ihren Blick auf ihn richtete, hatte er sie in seiner Gewalt, und ihre Furcht ließ nach.
    »Sie brauchen nicht bei ihr zu wachen. Sie schläft die Nacht durch«, sagte er mit leiser, gebieterischer Stimme.
    Sie nickte.
    »Sie und Mrs. Creevy werden sie tagsüber versorgen.« Er sah sie wieder nicken. »Und nun gehen Sie schlafen, gute Frau.«
    Mrs. Simpson stand auf und wankte zur Tür. Dort kam sie richtig zu sich und murmelte im Hinausgehen: »Es geht ihr gut. Sie schläft die Nacht durch. Ich gehe jetzt auch

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