Blutrote Sehnsucht
Er hatte nicht daran gedacht, die Vorhänge zu schließen, und jeden Moment würde die Sonne aufgehen. »Und jetzt muss ich gehen.«
»Ich weiß«, flüsterte sie. »Vielen Dank für alles.«
Sie konnte es nicht wissen, nicht wirklich, nicht warum er gehen musste. Oder doch? Stephan drehte sich auf dem Absatz um und zog sich in ihr Ankleidezimmer zurück, um die Art seines Verschwindens zu verbergen.
11. Kapitel
D er Wirbel, den Mrs. Simpson machte, ihre Tränen der Freude, die ruppige Behandlung durch Mrs. Creevy, als sie ihr half, sich zu waschen und ein frisches Nachthemd anzulegen, und der Besuch des Arztes erschöpften Ann. Der Doktor erklärte sie für gesund, ließ sie gleichwohl jedoch zur Ader und empfahl ihr Haferschleim und Ruhe. Cousin Erich ließ ihr ausrichten, dass er sie zu sehen wünsche. Mrs. Simpson, die seine Nachricht übermittelte, lächelte zufrieden, als Ann sagte, sie sei zu müde, um ihn zu empfangen. Der bloße Gedanke, seinen Anblick ertragen zu müssen, ließ sie vor Widerwillen erschaudern.
Wenigstens hielt die ganze Aufregung die Erinnerungen in Schach. Erinnerungen, die im Grunde keine waren, oder zumindest nicht die ihren, sondern Stephan Sincais. Trotzdem befielen sie sie immer wieder in kurzen Bildern. Er hatte einst Alfred dem Großen geraten, eine Kriegsflotte erbauen zu lassen. Er sprach Chinesisch, und erstaunlicherweise verstand sie es auch. Doch welcher Mann würde eine Frau in seiner Nähe haben wollen, die alles über ihn wusste? Sie wollte Stephan nicht abschrecken, aber ihr Wissen vor ihm zu verbergen, erschien ihr ... unaufrichtig. Schließlich war sie so erschöpft von der fieberhaften Aktivität ihres Gehirns, dass sie in einen unruhigen Schlaf versank.
Ann schlief fast den ganzen Nachmittag, träumte von seidiger Haut und eindringlichen dunklen Augen, und als sie erwachte, verspürte sie nicht nur eine merkwürdige Feuchte zwischen ihren Schenkeln, sondern auch ein beunruhigend dumpfes Pochen dort. Das ging zu weit! Sie konnte es sich nicht leisten, so zu reagieren, nur weil irgendein gut aussehender Mann ihren Weg kreuzte. Nicht, wenn es in ihrem Leben nicht einmal das bescheidene Vergnügen geben durfte, einen Mann auch nur zu berühren. Sie erinnerte sich nur allzu gut an das Gefühl seiner Haut an ihren Fingern, als sie ihn verbunden hatte. Diese Empfindung würde sie nie vergessen, auch wenn sie sie ins Koma versetzt hatte.
Würde Stephan Sincai heute Abend wiederkommen?
Stephan, der keinen Schlaf fand in seinem Zimmer über der Taverne, dachte über Maitlands nach. Inzwischen wurde er da nicht mehr gebraucht. Er hatte dort nichts mehr zu suchen. Er durfte nicht noch ein Leben beflecken. Und nun, da er wusste, dass Ann wohlauf war, gab es keine Rechtfertigung mehr für seine Besuche.
Doch wurde er wirklich nicht mehr benötigt? Was war mit diesem Van Helsing, der immer noch im Haus sein Unwesen trieb? Er wurde heute aus London zurückerwartet. In Anwesenheit der Dienstboten würde er es bei Tag bestimmt nicht wagen, Miss Ann zu belästigen, aber nachts?
Vielleicht sollte ich in den Nächten doch besser auf sie achtgeben, bis sie wieder auf den Beinen ist, überlegte er. Was würde es ihn schon kosten, ein paar Stunden an ihrer Seite zu verbringen? Natürlich könnte Van Helsing, wenn er wieder im Haus war, seine Anwesenheit bemerken. Aber mit diesem Lackaffen würde er schon fertig werden.
Oh ja, er lief Gefahr, sich auch heute Nacht wieder nach Maitlands zu begeben, und das wusste er.
Es wäre besser, sich nicht in Anns Leben einzumischen. Sie hatte sich von der Begegnung mit ihm erholt, und er hatte keine Verpflichtung mehr ihr gegenüber. Es brachte nichts, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen: ohne Freunde, oder nahezu ohne, mit Van Helsing unter ihrem Dach und von den Dorfbewohnern bestenfalls als irre und schlimmstenfalls als böse eingeschätzt. Aber Ann war weder böse noch verrückt. In seinem Herzen wusste Stephan das. Sie war nur ein außergewöhnlicher Mensch. Er konnte sehr gut nachempfinden, dass sie eine Außenseiterin war, die niemals akzeptiert werden würde. Wenn sie zu sehen doch nur nicht seine Mission gefährden würde! Würde sie sich an alles erinnern, was sie über ihn erfahren hatte?
Aber war nicht auch sie in Gefahr? Die Bewohner von Cheddar Gorge schienen jedenfalls glauben zu wollen, dass sie die Morde begangen hatte, die in Wahrheit auf sein, Stephans, Konto gingen.
Möglicherweise hatte er ihr gegenüber ja doch
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