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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Posten. Oft genug hatte er verzweifeln wollen angesichts seiner Hilflosigkeit: Budapest brodelte. Die Mehrzahl der Brücken und die Uferstraßen waren für den Verkehr gesperrt, wurden dadurch aber nicht leerer: Ein endloser Strom von Flaneuren zog an der Donau entlang; Buden, Karusselle, Bühnen drängten sich an der Uferpromenade; Trachten und Masken blitzten auf, als wollten die Menschen hier dem Karneval in Rio de Janeiro Konkurrenz machen. Budapester, Touristen, Provinzler aus der Umgebung schoben und drängten sich über Kilometer durch die Stadt – und auch direkt hier am Parlament vorbei. Es war unmöglich, den Überblick zu bewahren. Frenyczek konnte nur auf das Detail hoffen. Er schaute auf seine Armbanduhr – gleich drei. Dann würde es noch enger auf den Straßen werden, weil man eine Hand durch die Gegend trug. Nicht irgendeine, zugegeben, sondern die Reliquie des heiligen Stephan. Rund um die St.-Stephans-Basilika sollte die Prozession verlaufen, ruhig und voller religiöser Inbrunst. Von wegen! Frenyczek seufzte. Und dann gab’s noch die Flugschau, die dem Ganzen die Krone aufsetzte: das Red Bull Air Race * . Einmotorige Propellerflugzeuge lieferten sich Rennen auf Zeit, schossen über die Donau hinweg, röhrten unter den Brücken hindurch oder flogen über sie hinweg, tanzten Slalom in der Luft zwischen turmhohen, aufblasbaren Bojen, die auf der Donau schwammen.
    Alles in allem: ein Hexenkessel. Und nur Frenyczek und zehn seiner Leute warteten darauf, die Hexe zu erwischen.
    15.25 Uhr, Burgberg, Tunnelanlage
    Lázlo wurde immer nervöser. Fahrig rieb er sich die verschwitzten Hände – die Zeit lief ihm davon. Er hatte nicht erwartet, dass Janosch ihn wirklich keinen Augenblick aus den Augen lassen würde, aber sogar aufs Klo konnte er sich nicht verdrücken, ohne dass Janosch, André oder einer seiner Schläger auch mal mussten. Ganz zufällig natürlich. Verflucht, verflucht! Stunde um Stunde war Lázlo durch die Finger gerutscht wie ein glitschiger Aal. Janosch nervte sie immer wieder mit dem Bau der Bomben, der Einstellung ihrer Timer. Und er ließ den Blick niemals von Lázlo. Aber wenn Lázlo noch länger wartete, wäre ohnehin alles zu spät. Ungeduldig schielte er zu der Wanduhr im Trainingsraum: kurz nach halb vier. Um fünf würden die Sprengsätze in den Höhlen hochgehen. Wenn sonst nichts half, dann musste er eben bluffen. Die Disziplin und Hörigkeit der Schwarzen Armee gegen sie selbst nutzen. Lázlo spürte sein pochendes Herz, den Schweiß auf seinen Händen und das raue Krächzen in seiner Stimme, als er aufstand und so lässig wie möglich sagte: »Also, bis gleich.«
    »Wo willst du hin?«, blaffte Janosch sofort.
    Lázlo runzelte verwundert die Stirn – hoffentlich übertrieb er es nicht. »Zu Holló natürlich.«
    »Warum?«
    »Für letzte Instruktionen. Und wenn der Rabe befiehlt, will ich pünktlich sein. Also dann …«
    »Ich komme mit.«
    Lázlo lachte spöttisch auf. »Glaubst du, er freut sich, wenn du unangemeldet auftauchst, Janosch? Er will mich sehen, mich allein. Vielleicht bist du gar nicht so sicher auf deinem Thron, Prinz des Raben.«
    Janosch verlor an Farbe, sein Gesicht wurde weiß.
    »Oder hast du vielleicht Angst?«, stieß Lázlo nach. »Wobei ich mich frage, wovor? Aus den Tunneln komme ich nicht raus, die sind gut bewacht. Mein Handy hast du, und ich brauche es auch nicht, denn heute werde ich etwas Großartiges für Ungarn tun.« Lázlo schluckte. Das stimmte sogar – jedenfalls würde er sich alle Mühe geben. »Oder hast du einfach …« Er senkte die Stimme. » … Angst vor mir, Grinsefratze?«
    Janosch erbleichte noch mehr.
    Lázlo nickte ihm zu, ging mit wackligen Schritten durch den Trainingsraum und lehnte sich erst draußen im Tunnel, als die Tür hinter ihm zugefallen war, aufseufzend gegen die kahle Wand. Niemand folgte ihm. Wenn Holló befahl, gehorchten sie. Wenn der Rabe rief, krächzten seine Krähen.
    Lázlo atmete ein paarmal tief ein, dann machte er sich auf den Weg.
    15.28 Uhr, Loránd-Eötvös-Universität, V. Bezirk
    Professor Radelodz drehte sich in seinem Bürostuhl. Das machte er manchmal, wenn er alleine war. Und am Stephanstag waren alle auf der Straße, um zu lachen und zu fressen, um zu singen und zu saufen. Um zu feiern. Ha! Wie hatte der Schriftsteller Tibor Déry einmal so treffend gesagt? »Der Ungar ist ein Witz, der über Katastrophen tanzt.«
    Wie wahr.
    Radelodz drehte sich. Der Luftzug war kühl und klar.
    15.38

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