Blutsauger
ließ sich nicht anmerken, dass er dieses Beziehungsgeflecht als ziemlich spannend empfand. Immerhin kannte er die Angaben dieser Ambulanzschwester Brigitte, wonach Anja offenbar engere Beziehungen zu Fallheimer unterhalten hatte. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen und sah dabei aus dem Fenster in das Weißgrau eines Wintermittags hinaus. »Uns interessiert allerdings weniger die Frau Kastel …«, begann er und erntete einen aufmunternden Blick von Kerstin, »… sondern Ihr Mann – oder besser gesagt: Ihr geschiedener Mann. Gab es denn etwas, das ihn – sagen wir mal … von den Kollegen unterschieden hat …« Linkohr sah Hilfe suchend zu Kerstin. Diese erfasste seine Formulierungsnöte und ergänzte: »Etwas, das Sie vielleicht verwundert oder besorgt gestimmt hat.«
Frau Fallheimer runzelte die Stirn und holte tief Luft. »Verwundert oder besorgt«, wiederholte sie, um den beiden Besuchern klarzumachen, dass sie keinen regelmäßigen Kontakt zu Johannes gehabt habe. »Wir sind seit über einem Jahr auseinander, müssen Sie wissen. Ich denke aber, es tut nichts zur Sache, weshalb.« Sie wirkte plötzlich kühl.
»Vielleicht können Sie uns andeutungsweise etwas dazu sagen.«
»Was soll ich sagen? Das Übliche halt. Man lebt sich auseinander, hat auf einmal eigene Interessen.« Sie rang nach einer Formulierung. »Und dann hat er sich vor zwei oder drei Jahren wohl auf etwas eingelassen, das er in letzter Zeit bereut hat.«
Linkohr und Kerstin spürten, dass sie einer wichtigen Sache auf der Spur waren. Doch beide hatten sie gelernt, sich dies nicht anmerken zu lassen.
Die junge Beamtin, deren Vorgehen Linkohr von Minute zu Minute mehr faszinierte, lehnte sich zurück und fragte vorsichtig: »Was war es denn, was er bereut hat?«
Linkohr legte seinen Kugelschreiber weg. In solchen Momenten war es nicht angeraten, etwas aufzuschreiben.
»Er hat sich da wohl an einem Projekt beteiligt … und wurde in etwas hineingezogen.«
»Ja?«, zeigte sich Kerstin interessiert. Linkohr entschied, das Gespräch von Frau zu Frau laufen zu lassen.
»Er hat sich anfangs sehr viel davon versprochen. Viel Geld, verstehen Sie. Aber zuletzt ist ihm alles irgendwie zu heiß geworden.« Frau Fallheimer stockte. »Es gibt da nämlich eine Forschungsgesellschaft, wenn ich das mal so nennen darf.« Sie wartete auf eine Reaktion ihrer beiden Zuhörer, die ihr nur aufmunternd zunickten.
»Johannes hat sich mehr oder weniger dazu überreden lassen.« Wieder musterte sie die beiden Kriminalisten, um langsam fortzufahren: »Jetzt hatte er sich wohl vorgenommen, aus der Sache auszusteigen.«
Linkohr wollte endlich Konkretes hören: »Aus der Sache?«, echote er deshalb. »Wie muss man sich diese Sache vorstellen?« Kerstin zuckte mit einer Wange. Vermutlich hätte sie der Frau noch mehr Zeit zum Überlegen gelassen.
»Da gibt es eine Gruppe von Ärzten und Wissenschaftlern, die sich mit Gen- und Stammzellenforschung befasst. So genau weiß ich es nicht. Johannes hat immer ein Geheimnis darum gemacht. Einmal hat er gesagt …« Sigrid Fallheimer tat sich offenbar schwer, weitere Interna preiszugeben. »… dass sie einen Rohstoff entwickeln wollen, mit dem sich künstliches Leben herstellen ließe.«
Linkohr versuchte, das Gehörte einzuordnen. Waren es Verrückte, die da in irgendwelchen Hinterhof-Laboratorien bastelten? Oder war’s einfach Science-Fiction? Schlagartig kam ihm einer der ersten Fälle in Erinnerung, die er mit seinem großen Vorbild, dem Göppinger Hauptkommissar August Häberle, hatte bearbeiten dürfen. Damals war’s um die Relativitätstheorie gegangen und letztlich um einen großen Trugschluss.
Kerstin, die von den damaligen Ermittlungen natürlich nichts wissen konnte, griff Frau Fallheimers Schilderungen vorsichtig auf. »Dass dies weltweit versucht wird, ist kein Geheimnis«, gab sie sich wissend. »Biologen und Biotechniker sind stark daran interessiert, zu erfahren, wie das Leben funktioniert.«
»Ich bin zwar Krankenschwester, müssen Sie wissen – aber ich versteh nur am Rande etwas davon. Allerdings weiß ich, dass man für diese Art von … Experimenten oder Forschung … – nennen Sie es, wie Sie wollen – reine Stammzellen benötigt.«
»Reine Stammzellen? Wie muss man das verstehen?«, hakte Kerstin nach.
»Hm, es ist wohl so, dass Stammzellen, die man aus dem Knochenmark erwachsener Menschen gewinnt, nur ein eingeschränktes Potenzial aufweisen, sich in andere Körperzellen
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