Blutsauger
umzuwandeln. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, warum dies so ist. Jedenfalls lassen sich Stammzellen, aus denen sich andere Organe entwickeln lassen, nur aus reinstem Blut gewinnen, wie man es unmittelbar nach der Geburt eines Kindes in der Nabelschnur vorfindet.«
Durch Linkohrs Gehirn zuckten Erinnerungsblitze. War heute nicht schon einige Male die Gynäkologie angesprochen worden? Fallheimer war dort Oberarzt gewesen, wenn er sich richtig entsann.
Auch Kerstin schien sofort diese Verbindung erkannt zu haben. »Und wie ist nun Herr Fallheimer in diese Angelegenheit involviert gewesen?«, hakte sie zurückhaltend nach.
»Er hat sich in letzter Zeit dauernd Vorwürfe gemacht«, erklärte die Frau. »Erst vor ein paar Wochen, als wir uns zuletzt gesehen haben, hat er so etwas angedeutet. Offenbar stand er unter einem gewissen Druck, so ein Nabelschnurblut zu besorgen.«
»Ach?«, konnte Linkohr sein Staunen nicht unterdrücken. Beinahe wäre ihm sein Lieblingsspruch, den er ansonsten stets im Zustande allerhöchster Verwunderung zu benutzen pflegte, über die Lippen gekommen. Aber jetzt zu sagen ›Da haut’s dir’s Blech weg‹, wäre wohl völlig unpassend gewesen.
Kerstin blieb gelassen, vermutlich genau so, wie man es ihr auf der Fachhochschule beigebracht hatte. »Und so hat Herr Fallheimer das Nabelschnurblut in der Klinik abgezweigt?« Linkohr nahm die feinen Formulierungen zur Kenntnis. Abgezweigt hatte sie gesagt, nicht gestohlen.
»Ich nehm das mal an. Wirklich deutlich gesagt hat er’s aber nicht. Die Sache hat ihn ziemlich mitgenommen.«
»Ist es denkbar, dass auch diese Anja Kastel davon wusste?«, gab Linkohr zu bedenken.
»Anja?« Die Frau schien mit dieser Frage aus dem Konzept zu kommen, worüber sich Kerstin insgeheim ärgerte. »Ob Anja davon gewusst hat, weiß ich nicht. Vielleicht hat er sich ihr anvertraut. Denkbar wäre das. Obwohl Johannes eher ein introvertierter Typ war. Wenn ich das rückblickend betrachte, war ich wohl die einzige Person, mit der er so persönliche Dinge bereden konnte.«
»Und wer zählt nun zum Kreis dieser Forschungsgesellschaft?«, bohrte Linkohr weiter.
»Wer genau dabei ist, kann ich Ihnen nicht im Einzelnen sagen. Ich weiß nur, dass ein Arztkollege von ihm eine wichtige Rolle dabei spielt.«
»Dürfen wir erfahren, wer das ist?«
»Glauben Sie denn, dass dies alles mit dem Unfall zusammenhängen könnte?« Sie zögerte. »Es war doch ein Unfall, oder?«
»Davon müssen wir nach Lage der Dinge ausgehen«, erklärte Linkohr eine Spur zu sachlich, wie er selbst es empfand. »Trotzdem sollten wir uns das Umfeld etwas genauer ansehen.«
Kerstin unterstützte ihn charmant: »Unsere Aufgabe ist es, auch die Hintergründe zu beleuchten.«
»Nun, Johannes wollte nicht, dass dies alles an die Öffentlichkeit kommt. Sie wissen sicher selbst, dass Deutschland bei diesen Dingen zu den restriktivsten Ländern der Welt überhaupt zählt – obwohl es damit in einem wichtigen Forschungsgebiet ins Hintertreffen gerät, wie Johannes es mal formuliert hat. Denn zu glauben, ein einziges Land könnte in einer globalisierten Welt etwas verhindern, worin Wissenschaftler eine Herausforderung sehen, ist natürlich engstirnig und provinziell gedacht. In den USA und in Spanien sieht das ganz anders aus.« Ihr Gesicht verzog sich zu einem mitleidigen Lächeln. »Der Einzige, den ich aus Johannes Erzählungen kenne, ist sein Kollege Elmar Brugger.«
Linkohr notierte sich den Namen. »Wissen Sie, wo wir ihn erreichen?«
»Derzeit wohl gar nicht. Er gönnt sich eine Auszeit auf Gran Canaria.«
»Ach. Das wissen Sie?«
»Ja, das ist kein Geheimnis. Seine Frau hat’s mir erzählt.«
»Und wo finden wir seine Frau?«
»Die dürfte daheim sein – in Merklingen. Ich kann Ihnen die Adresse geben.« Frau Fallheimer stand auf und holte aus dem Schubfach eines Glasschranks ein Notizbuch, um Straße, Hausnummer und Telefonnummer vorzulesen.
Kerstin konnte sich eine Frage nicht verkneifen: »Sie haben sich Adresse und Telefonnummer notiert?«
»Ja. Brunhilde – also seine Frau – und ich haben uns vor geraumer Zeit kennengelernt. Wir telefonieren manchmal miteinander – oder wir treffen uns.«
»Wann haben Sie denn zuletzt miteinander gesprochen?«, wollte Linkohr wissen.
»Ist das so wichtig?«
»Was wichtig ist oder nicht, weiß man meist erst, wenn man alles weiß.« Er musste sich eingestehen, dass dies nicht gerade eine intelligente Begründung war.
»Wir haben
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