Blutsbande: Die Rachel-Morgan-Serie 10 - Roman (German Edition)
wollte immer noch wissen, warum Trent hier gewesen war, wusste aber, dass ich den Preis für diese Information nicht zahlen wollte. Außerdem würden Jenks und Ivy es wahrscheinlich wissen, schließlich waren sie vor mir hier gewesen.
Ninas Augen funkelten angesichts meiner kleinen Rebellion. Je älter untote Vampire waren, desto menschlicher wurden sie, und eine so alte Präsenz in einem jungen Körper zu spüren irritierte mich mehr als ein männliches Bewusstsein in einem weiblichen Körper zu sehen.
»Ich mag Nina irgendwie, wissen Sie?«, sagte ich, obwohl ich eigentlich keine Ahnung hatte, warum ich mich berufen fühlte, für die Frau einzustehen, die so herzlos benutzt wurde. Ich lebte nun schon lange genug mit Ivy, um zu wissen, dass diejenigen, die das Interesse eines Untoten auf sich zogen, missbraucht und verletzt wurden. Nina ahnte nicht im Geringsten, welches Leid sie erwartete.
Nina schnaubte und sah durch die Äste zum Himmel auf. »Sie ist ein süßes Mädchen, aber arm.«
Wut packte mich, und noch der letzte Rest seines Charismas löste sich auf. »Arm zu sein bedeutet nicht, dass man kein Potenzial hat oder nicht von Wert ist. Es ist nur ein Mangel an Ressourcen.«
Nina drehte sich erstaunt zu mir um. Je länger der untote Vamp in ihr residierte, desto komplexer und deutlicher wurde ihr köstlicher Duft – der eines erfahrenen, selbstbewussten, lebenden Vampirs. Meine Miene erstarrte, als ich mich an Kisten erinnerte. Für einen Moment wünschte ich mir, das hier wäre Kisten, untot aber bestrebt, mich zu erreichen. Aber nein. Ich hatte ihn nach seinem zweiten Tod gesehen. Von ihm blieb nichts als Erinnerungen und eine Kiste voller Asche unter Ivys Bett. Außerdem war der Kerl hier wirklich alt.
»Sie haben einmal einen von uns geliebt«, hauchte Nina, als teilte der untote Vampir in ihr meinen Schmerz.
Blinzelnd tauchte ich aus meiner Trauer auf und stellte fest, dass ich die Hand an den Hals gelegt hatte, um eine Narbe zu verdecken, die nicht mehr sichtbar war. »Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Hier entlang«, sagte Nina und führte mich in einem kleinen Bogen um einen Grasfleck herum. Ich konnte keinen Unterschied zur restlichen Grasfläche erkennen, aber Nina schnaubte. »Hier liegen Knochen«, sagte sie, und in ihrer leisen Stimme lag ein Hauch von Gefühl.
Neugierig sah ich mich noch einmal um. »Muss seltsam sein, zu wissen, wo etwas begraben ist«, sagte ich. Das war besser als ein Metalldetektor.
»Sie war ungefähr acht«, sagte Nina. »Ist in den 1880igern an der Cholera gestorben. Ihr Grab wurde übersehen, als sie die Toten umgebettet haben, weil jemand ihren Grabstein gestohlen hat.«
Wir näherten uns dem Pavillon, der von lärmenden Leuten umgeben war, aber ich drehte mich noch einmal um. »Das wissen Sie alles, weil Sie über ihr Grab gelaufen sind?«
»Nein. Ich habe dabei geholfen, sie zu beerdigen.«
»Oh.« Ich schloss den Mund und fragte mich, ob der fehlende Grabstein wohl unter dem Sarg dieses Mannes lag. Die Untoten liebten nicht, aber sie erinnerten sich mit wilder Loyali tät an die Liebe. Ich sah mich nach Ivy um, weil all diese Leute mich nervös machten. Sie stand zwischen zwei I. S.-Agenten in Anzügen und ging mit ihnen ein Dokument durch. Das glitzernde Licht auf ihrer Schulter war wahrscheinlich Jenks. Der Pixie erzeugte einen hellen Blitz, um mich zu begrüßen, verließ aber nicht die Wärme von Ivys Schulter, während sie weiter das Klemmbrett studierte.
Hinter ihnen stand der Pavillon. Er war in fröhlichen Farben gestrichen und rundherum offen. Der Anblick wäre hübsch gewesen, hätte es da nicht die blutige, deformierte Leiche gegeben, die wie eine Fetzenpuppe von der Decke hing, mit weit ausgestreckten Gliedmaßen, die von dreckigen Fäden gehalten wurden. Mir wich jede Farbe aus dem Gesicht, als ich realisierte, dass der Körper Hufe hatte statt Füße, und dass das, was ich ursprünglich für eine braune Jogginghose gehalten hatte, blutbefleckter, dicht gelockter Pelz war. Das Blut, das unter der Leiche den Boden bedeckte, war bei Weitem nicht genug für einen Menschen, doch angesichts der grauen Haut des Opfers, die oberhalb der Hüfte sichtbar war, war es vollkommen ausgeblutet. Das Blut befand sich also entweder woanders, oder es war durch die Ritzen auf die Erde darunter geflossen.
Ich wurde langsamer, schluckte schwer und wünschte mir, ich hätte ein Amulett dabei, das den Magen beruhigte. Auf den ersten Blick sah es aus, als
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