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Blutsbraeute

Blutsbraeute

Titel: Blutsbraeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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den Geräuschen im Gang vor seinem Studio erstarrte Tohar. Er kroch vorsichtig zu der Tür hinter seiner Kamera. Anscheinend suchten mehrere Leute nach ihm.
    Â»Kommen Sie raus«, rief jemand.
    Tohar kicherte nervös. Er spürte ein Rumoren im Darm. Er hoffte, dass ihm kein Missgeschick passierte. In dem Raum nebenan war ein Boot, und Otis Tohar ging dahinter in die Hocke. Fürs Erste war das eine Zuflucht. Das Rasseln seines Atems war laut in der feuchten Luft. Er versuchte, ruhiger zu atmen und die Hammerschläge seines Herzens gegen die Rippen abzumildern. Er horchte. Nichts bis auf das Tosen der Brandung gegen die Ufermauer. Der Geschmack der Angst stieß ihm
sauer auf. Angst und Zorn formten sich zu einem kleinen, harten Stein hinter seinem Brustbein. Wie ein Tumor, dachte Otis. Das erinnerte ihn wieder an diese kleinen Luder, die er so sauber, so gekonnt operiert hatte wie ein Chirurg. Eigentlich war er ein besserer Chirurg, als sein Vater je gewesen war.
    Der unerwünschte Gedanke an seinen Vater ließ die eingedämmte Furcht in ihm unaufhaltsam hervorbrechen. Dass er hier hockte, in der Dunkelheit, in der kalten Luft, löschte die vielen Jahre einfach aus und versetzte ihn wieder in den Körper des jämmerlichen kleinen Jungen, der er einst gewesen war. Dabei hatte er so schwer daran gearbeitet, diesem Körper zu entkommen. Unvollkommen in den Augen seines Vaters, hatte er sich versteckt, in Erwartung der Schläge, die immer kamen, ganz gleich, wie gut oder wie lange er sich versteckte. Tohars Vater, der hervorragende Arzt, hatte die Erfahrung, das Können und die Geduld, die nötig waren, eine Krankheit aufzuspüren. In seinen Augen war Otis die Pest. Er wartete, bis Hunger, Müdigkeit oder eine volle Blase – irgendeine Form von körperlicher Schwäche  – Otis aus seinem Versteck trieb. Sein Vater erwartete ihn dann. Er schüttelte resigniert den Kopf und führte ihn – die schlanken Finger wie ein Schraubstock um den Arm des Jungen geschlossen – durchs Haus ins Zimmer seiner Schwester. Beim Gedanken an sie überlief ihn eine heiße Welle aus Zorn, die ihn von seiner Angst vor seinen Verfolgern ablenkte. Seine blasse Schwester saß immer an derselben Stelle. Sie durfte sich nicht rühren, solange Otis sich versteckte, hungrig und erschöpft, bis sein Körper schließlich die Qual, sich
nicht erleichtern zu können, nicht mehr aushielt. Seine Schwester saß auf Befehl seines Vaters auf einem Stuhl am Fenster und wartete darauf, dem Vergnügen ihres Vaters, das darin bestand, Otis zu erniedrigen, zuzusehen. Sie saß da, gezwungen mitzuerleben, wie ihr Vater Otis schlug. Wenn er fertig war – meistens dann, wenn der Junge die Kontrolle über die Blase oder den Darm verlor –, hob ihr Vater, dieser hervorragende Chirurg, den Rock seiner Tochter hoch und schnitt eine präzise Kerbe neben den anderen ein, die das Verprügeln seines Sohns markierten. Dann überließ er es dem Mädchen, einer stummen Zeugin, gezeichnet mit dem, was sie gesehen hatte, das Zimmer und ihren Bruder zu säubern, so gut sie konnte.
    Es überraschte ihn, dass die Schritte plötzlich so nah waren. Das kalte Metall, das sich gegen seinen Nacken presste, war unangenehm. In den Worten, die eine raue Stimme in sein Ohr raunte, schwang eine unüberhörbare Drohung mit.
    Â»Stehen Sie auf, Mr. Tohar«, sagte die Stimme. »Sie sind festgenommen.« Tohar stand auf. In seinem Kopf hämmerte der Schmerz von Theresas Schlägen. Bestimmt sprach es gegen sie, wenn er erklärte, wie brutal sie ihn angegriffen hatte.
    Â»Selbstverständlich, Officer«, sagte er. Er drehte sich zu dem Mann um. Er war unrasiert, hatte blutunterlaufene Augen und trug billige, schlecht sitzende Kleidung. »Mit wem habe ich die Ehre?«, fragte er höflich.
    Â»Riedwaan Faizal«, antwortete der Mann. Er richtete die Pistole weiter auf Tohar. Er hatte Handschellen dabei, die er Tohar zu dessen Erstaunen offenbar anlegen
wollte. Er drehte Tohar um, riss ihm die Arme hinter den Rücken, ließ die Handschellen an seinen Handgelenken zuschnappen und zog dann die Arme schmerzhaft nach oben. Einer der ebenfalls anwesenden uniformierten Polizisten spuckte ihn an.
    Â»Vorwärts«, kommandierte Riedwaan Faizal, zog Tohars Arme noch höher und führte ihn ab. In dessen Kopf lief einer seiner Filme. Er stoppte ihn,

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