Blutsbraeute
kehrte zu ihrer Lektüre zurück. Ein Einschnitt quer über die rechte Handfläche, der dem Mädchen vor seinem Tod mit einem sehr scharfen Messer zugefügt worden war. Diese verletzte Hand hatte einen Schlüssel gehalten und war mit einem Stück Seil kompliziert verknotet gewesen. Die Art der Seilführung wies auf eine gewisse Ãbung im Fesseln hin. Das Blut war über dem Schlüssel so verkrustet, dass er herausgestemmt werden musste. Blutgruppe A positiv. Charnays Blut. Tintenspuren unter dem Blut in der Handinnenfläche. Dort war ein Name oder eine Nummer aufgeschrieben worden. Die Spuren waren schwach und vom Pathologen nicht mehr zu entziffern gewesen. Ein Genitaltrauma, schwer zu sagen, seit wann, kein Sperma im Körper. Verwendung eines Gegenstands nicht auszuschlieÃen. Spermaspuren auf der Kleidung. Möglich, dass der Mörder zur Feier seiner Tat masturbiert hatte. Das Sperma war abgewischt worden, aber auf dem Rock war ein Rest geblieben. AuÃerdem möglich, dass der schon vorher da
gewesen war. Ein Bluterguss auf der rechten Wange, von einer Risswunde neben dem Augenwinkel. Höchstwahrscheinlich ein heftiger Schlag von einem Mann, der einen Ring trug. Die FuÃsohlen in den hochhackigen Stiefeln waren schmutzig. Als ob das Opfer barfuà gegangen wäre. Die Zehennägel lackiert, die Fingernägel auch. Der Magen war leer. Spuren von Erbrochenem im Mund. Todesursache: Ersticken.
Clare steckte die Seiten in den Umschlag zurück und packte ihn in ihre Tasche.
»Mehr Fotos konnte ich nicht mitbringen«, sagte Riedwaan. »Aber ich gebe dir Bescheid, wenn wir die toxikologischen Ergebnisse bekommen. Die Kriminaltechnik ist sich nicht schlüssig, ob es ein Skalpell war oder ein Messer. Auf jeden Fall sehr scharf. Sie hat sich gewehrt. Piet hat Hautpartikel unter ihren Nägeln gefunden. Aber offenbar war ihr Widerstand schwach. Piet Mouton ist sich sicher, dass sie unter einer Droge stand, als sie ermordet wurde. Rohypnol oder etwas in der Art.«
»Das passt ins Bild«, sagte Clare. »Rohypnol verwirrt das Opfer und macht es gefügig. Falls es überlebt, kann es sich an nichts erinnern. Aber bei einer tödlichen Bedrohung springt der Ãberlebensinstinkt trotzdem an.«
»Deshalb die Blutergüsse«, sagte Riedwaan. »Piet sagt, dass sie erstickt wurde. Der Mörder hat ihr den Mund zugehalten, bis sie tot war. Die Lippen waren eingerissen. Auch ihre Zähne haben Spuren auf den Lippen hinterlassen, er muss also sehr viel Kraft gehabt haben.«
Clare sah das Bild des schlanken Mädchens an.
»Die Kehle wurde ihr nach dem Tod durchgeschnitten? Warum?«
Riedwaan nickte. »Ja, nach dem Tod. Aber dafür bist du zuständig, Clare. Warum wollte er sie zum Schweigen bringen, obwohl sie schon tot war? Versuche herauszukriegen, was sie wusste. Vielleicht ist es irrelevant, aber es ist ein Anfang.« Riedwaan gab ihr einen Zettel mit Adressen und Telefonnummern. »Ihre Eltern«, sagte er. »Ruf sie an. Sprich mit ihnen. Sieh zu, was du herausfinden kannst.«
»Sind sie vernommen worden?«, fragte Clare.
»Natürlich«, sagte Riedwaan. »Du kannst die Transkriptionen lesen.« Er gab ihr einen zweiten Umschlag.
»Gut«, sagte Clare. »Wonach suchst du?«
Riedwaan zuckte die Achseln. »Ich weià es nicht. Die Gespräche sind nicht gerade gut gelaufen.« Er brauchte das nicht zu erklären. Clare wusste, dass es dem Revier an allem fehlte â hauptsächlich an Personal, an Autos, an Computern. Falls kein zweiter Mord geschah, würden die Mittel für den Fall nicht aufgestockt werden.
»Ich machâs. Morgen habe ich allerdings ein Interview für meinen Dokumentarfilm über Menschenhandel.« Clare sprach nicht weiter, stand auf und zog den Mantel an. Plötzlich wirkte sie unbeholfen, fast ein wenig zerbrechlich.
Riedwaan erhob sich ebenfalls und nahm ihren Arm. »Lass dich von mir nach Hause fahren«, sagte er mit unerwartet sanfter Stimme.
Clare lehnte sich kurz an ihn. »Ja, bitte.«
Er roch ihr Haar, warm und lebendig an seinen Lippen. Dann löste sie sich von ihm.
»Lieber doch nicht, aber danke. Es ist ja noch nicht ganz dunkel. Ich gehe zu FuÃ.« Sie drehte sich um und war fort.
Riedwaan sah ihr nach, wie sie das Restaurant verlieÃ, und wartete darauf, dass sie auf der StraÃe auftauchte. Sie hatte die Arme eng um ihren
Weitere Kostenlose Bücher