Blutsbraeute
Profit ist enorm. Waffen bringen Geld ein, sicher, Drogen sind profitabel, aber beides sind Geschäfte mit hohen Risiken, die komplizierte Vorgehensweisen erfordern und Spuren hinterlassen, die gar nicht so schwer zurückzuverfolgen sind. Bei Frauen oder Kindern gibt es so gut wie kein Risiko.« Shazneem beruhigte sich mit einem Schluck Wasser. »Es ist eine Investition mit minimalem Startkapital â ein Flugticket oder eine Taxifahrt und Schmiergeld. Die einzige Beschränkung, die es in dem Zusammenhang gibt, liegt in der Zahl von Kunden, denen ein Körper zu Diensten sein kann.«
»Haben Sie Beweise?«, fragte Clare.
»Keine, die vor Gericht standhalten. Die Frauen haben Angst vor einer Aussage.« In Shazneems Augen blitzte Wut auf.
»Ich muss Sie warnen, Clare. Seien Sie sehr vorsichtig. Ich weià nicht, ob das mit Ihnen und Ihrer Arbeit zu tun hat ⦠aber gestern hatten wir Besuch von drei Männern. Sie kamen hierher ins Frauenhaus und haben sich nach Natalie erkundigt. Sie gaben sich als ihre Brüder aus.«
Clare wurde bleich. »Woher wussten sie, dass sie hier ist?«
»Natalie hat keine Brüder«, sagte Shazneem. »Aber diese Männer wussten, dass sie hier ist. Oder sie wussten mehr über Ihr Vorhaben, als sie wissen sollten. Passen
Sie auf, mit wem Sie über Ihre Nachforschungen sprechen.«
Clares Nacken verspannte sich. Zwischen den beiden Frauen herrschte Schweigen, das nur von dem Gelächter der Kinder, die im schwachen Sonnenschein spielten, unterbrochen wurde.
»Vielleicht sollte ich jetzt mit Natalie sprechen«, sagte Clare.
Shazneem stand auf. »Ihr Zimmer ist ganz hinten, denn dort ist es am sichersten.« Clare folgte ihr hinaus. Sie überquerten einen tristen Hof, der bis auf ein schäbiges Klettergerüst aus Kunststoff leer war. Die beiden kleinen Jungen, die darauf saÃen, verstummten, als sie Clare sahen. Sie reagierten nicht auf ihren GruÃ, bis Shazneem sie ermahnte. Dann spielten sie weiter und vergaÃen die Besucherin.
Shazneem klopfte an der dritten Tür.
»Entrez.« Die Stimme klang sanft. Shazneem machte die Tür auf, trat beiseite und lieà Clare hinein.
»Natalie, das ist Frau Dr. Hart«, sagte sie. »Die Frau, die den Film über Menschenhandel dreht.« Bevor Clare die auf dem Bett sitzende Frau begrüÃen konnte, drehte Shazneem sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Bonjour , Natalie«, sagte Clare.
»Bonjour , Madame. Bitte, kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.« Natalie erhob sich und deutete auf den einzigen Stuhl. Clare setzte sich und wartete. Es war still im Zimmer. Die durch das Gitter hereinfallende Sonne spiegelte sich in Natalies kantigem Gesicht.
Natalie Mwanga sah die Frau an, die ihr nun gegenübersaà und offensichtlich versuchte, sich ein Bild von ihr zu machen. Vermutlich waren sie im gleichen Alter.
Clare wartete, ob Natalie ihr ihre Geschichte anvertrauen wollte. Es war ein heikler Moment, den schon ein achtloses Wort oder eine jähe Bewegung zerstören konnte. Natalie würde im Fernsehen gut aussehen, ihre Schönheit war eine Verkaufshilfe für ihre Geschichte.
Die Stille zwischen den beiden Frauen versetzte Natalie zurück in das Chaos, das sie aus ihrem Heimatdorf vertrieben hatte. Die erste Erfahrung mit Gewalt hatte sie in der Ehe gemacht, die sie nicht freiwillig eingegangen war, nicht im Krieg. Doch nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, schnappte der Krieg wie eine Hyäne nach ihr, trieb sie und ihre Tochter von einem Flüchtlingslager zum anderen. Dort tauschte Natalie ihr spärliches Englisch gegen ein Zelt, einen Kochtopf und ein Moskitonetz ein, die ein Helfer erübrigen konnte. Wie die anderen Frauen, die noch jung genug waren, schmeichelte sie den Friedenstruppen Essen ab. Sie setzte wenn möglich Charme ein, wenn nötig auch ihren noch straffen Körper. Ihre Tochter verweigerte sie den Soldaten, selbst wenn ihr unverdorbenes Fleisch für sie angeboten wurde. Sie hatte sich in das vom Krieg verschonte Kalangani durchgeschlagen, wo sie Verwandte hatte. Hier glaubte sie ihre Tochter in Sicherheit. Aber das war, wie Natalie ahnte, nicht die Geschichte, die Clare hören wollte.
Natalies Stimme durchbrach endlich das Schweigen. »Madame, ich erzähle Ihnen jetzt, wie ich hierhergekommen
bin. Ich erzähle es Ihnen für Ihren Film und für meine
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