Blutsbraeute
Hand, ging zu einem der Fenster, die auf das Meer hinausgingen, und wählte Riedwaans Nummer.
Die Wolken hingen tief über dem Wasser, aber es regnete nicht mehr. Sie konnte Graaffs Pool schwach ausmachen. Dort war niemand zu sehen, niemand ging spazieren oder lungerte herum. Der heftige Regen am frühen Abend hatte selbst die abgehärtetsten Stadtstreicher von den Bänken und Baustellen an der Main Road vertrieben. Clare erschauerte, als sie sich eine Leiche dort drauÃen in der Dunkelheit am Fuà der Ufermauer vorstellte.
Riedwaan meldete sich. »Habe ich dich geweckt?«, fragte Clare.
»Ja.« Er gähnte. »Was gibt es?«
»Jemand hat eine weitere Leiche gefunden, Riedwaan. Ein Mädchen.«
»Wo?« Riedwaan war jetzt hellwach. Clare konnte an den Hintergrundgeräuschen hören, dass er aus dem Bett sprang und sich anzog, das Handy in der Hand.
»Wo bist du?«
»Ich bin noch auf einem Empfang. Jemand hat mir eine SMS geschickt. Ich erkläre dir das später. Wir treffen und am Graaffs Pool. In der SMS steht, dass dort eine Mädchenleiche ist.«
»Ich komme sofort hin.«
Clare wollte mehr sagen, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Sie klappte das Handy zu.
Otis Tohar stand neben ihr. »Eine wunderschöne Aussicht, stimmtâs?« Er zeigte in die Richtung, in die sie geschaut hatte. »Man weià nie, was eine solche Nacht alles bringen kann, nicht wahr? Wen haben Sie angerufen?«
»Einen Freund«, sagte Clare, so überrascht, dass sie diese persönliche Frage, ohne es zu wollen, beantwortete.
»Jemand, mit dem Sie sich auf einen Absacker treffen? Wie schön für Sie.«
Clare widersprach ihm nicht. Stattdessen bedankte sie sich bei ihm für die Gastfreundschaft und holte Jakes. Der Aufzug sank mit einem Seufzer ins Erdgeschoss. Clare stellte sich vor, wie Otis Tohar von seinem Horst aus das Alarmlicht der Polizeiautos sah, das der Ambulanz, und die Angst, die sie unterdrückt hatte, kam mit Macht zurück.
»Was sollte denn der überstürzte Aufbruch?«, fragte Jakes, als sie im Auto saÃen und auf die nasse StraÃe einbogen.
»Ich muss zum Graaffs Pool«, erklärte sie Jakes. »Setz
mich bitte bei mir zu Hause ab, damit ich mein Auto holen kann.«
»Graaffs Pool? Das ist mitten in der Nacht ein übler Ort. Ich komme mit, als dein Ritter in schimmernder Rüstung.«
»Das geht schon in Ordnung, Jakes. Fahr mich einfach nach Hause.« Aber Jakes steuerte sein Auto durch den nächtlichen Taxiverkehr zum Strand. Clare war zu müde, sich mit ihm zu streiten, und es war ihr im Grunde auch nicht danach, allein dort zu warten. Jakes parkte mit der übertriebenen Korrektheit eines Fahrers, der zu viel getrunken hat.
Riedwaans Auto war noch nicht da. Von Bo-Kaap, wo er allein in dem für ihn zu groÃen Haus lebte, bis hierher brauchte er zwanzig Minuten. Clare stieg aus, noch bevor Jakes den Motor abgestellt hatte. Sie ging den FuÃweg entlang, vorbei an der Einfassung, die den Pool vor öffentlichem Einblick schützte und in deren unmittelbarer Umgebung unzählige gebrauchte Kondome herumlagen. Clare wartete darauf, dass sich ihre Augen an das wechselnde Licht gewöhnten; die jagenden Wolken verbargen den Mond und enthüllten ihn wieder. Die Flut kam. Falls hier eine Leiche war, musste sie bald an eine andere Stelle gelegt werden, damit das Wasser sie nicht schluckte. Die Felsen zeichneten sich schwarz und zackig vor dem Nachthimmel ab, der Sand war schmutzig weiÃ. Clare sah sich die Felsen genau an. Sie konnte nichts Weiches, nichts Menschliches erkennen. Sie wagte sich näher an das Ufer heran. Unter ihren Absätzen knirschten Muschelschalen.
Der schlanke Körper lag in einem flachen Felsspalt,
das dunkle Haar umrundete das Gesicht wie ein Heiligenschein. Clare fühlte sich schwach. Sie trat von der Leiche zurück und rief Riedwaan an. »Sag Piet Mouton und der Spurensicherung Bescheid. Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun.«
Eine Welle preschte vor und zog sich dann schmatzend zurück. Gischt bespritzte die Stilettostiefel, in denen die FüÃe des Mädchens steckten. Clare schaltete die Handykamera ein, umkreiste die Leiche in einem vorsichtigen Abstand und machte Fotos. Die kommende Flut würde alles Beweismaterial zerstören. Eine Brust war entblöÃt, die andere unter dem hauchdünnen Stoff des Tops
Weitere Kostenlose Bücher