Blutsbraeute
Sexualverbrechen durfte man nicht stümperhaft mit Beweismaterial umgehen. »Ich schätze vor vierundzwanzig Stunden, vielleicht auch früher. Sie ist kalt.« Er legte das Thermometer weg.
»Wann ist sie abgelegt worden?«, fragte Riedwaan.
Mouton drehte die Leiche um. »Dazu muss ich noch weitere Tests machen, aber schauen Sie sich mal diese Flecken an. Ich gehe jede Wette ein, dass sie lange auf der Seite gelegen hat, bevor sie transportiert wurde.«
»Wann also ist sie transportiert worden?«, fragte Riedwaan. »Gestern Nacht kann das nicht gewesen sein, weil am Morgen Flut war.«
»Ich vermute, es war heute Abend. Ihr Haar ist nur etwas feucht vom Regen.« Er fuhr mit dem Finger durch das dichte Haar. »Nicht lange, bevor sie gefunden wurde, denke ich.«
»An einem so öffentlichen Ort. Wie? Und warum dort?«
»Lassen Sie das Ihre Lady rauskriegen.« Mouton beugte sich wieder über die Leiche, eine Pinzette in der Hand.
»Was haben Sie da, Doc? Wieder Sperma?«
Der Pathologe schnaubte. »Diesmal nicht. Sieht für mich eher nach Vogeldreck aus.« Er lieà die winzigen Partikel, die er vom Rücken des Mädchens entfernt
hatte, in eine der Tüten fallen, die er für Proben benutzte. »Ich schicke das zum Testen ins Labor.« Er ging um die Leiche herum, hob eine Hand des Mädchens hoch, dann die andere. Danach wandte er sich den FüÃen zu. Er streifte die hohen, engen Stiefel ab und schrieb wieder etwas auf den Notizblock.
»Was können Sie zu ihren FüÃen sagen?«
»Dieselben Verletzungen an den Extremitäten wie bei der anderen. Ich bin mir nicht sicher, woher sie stammen. Es sind Nagespuren. Vielleicht von Ratten. Die meisten Leichen, die längere Zeit im Freien liegen, werden von Aasfressern gebissen. Das macht es leichter, den Todeszeitpunkt zu bestimmen, weil sich eine konstante Umgebungstemperatur ermitteln lässt. Und natürlich fällt über eine Leiche in einem Innenraum kein Hunderudel her.«
»Danke für die kostenlose Vorlesung, Doc.«
Mouton richtete sich auf. »Etwas mehr Bildung könnte Ihnen nicht schaden, Riedwaan. Die Stiefel sind ihr vermutlich nach dem Tod angezogen worden, nachdem sie irgendwo lange allein lag und die Ratten an ihr nagen konnten.«
Mouton ging neben der Leiche in die Hocke. »Kommen Sie mal her und schauen Sie sich das an.« Riedwaan hockte sich neben ihn. Er konnte noch einen Hauch ihres Parfums riechen, so nahe war er ihr.
»Die Kehle ist genauso durchgeschnitten worden wie bei dem ersten Mädchen. Noch eine kolumbianische Krawatte.« Mouton wandte sich Riedwaan zu. »Bekommen wir es mit Südamerikanern zu tun?«
»Das wäre mir neu, davon habe ich jedenfalls noch
nichts gehört.« Riedwaan hob ratlos die Schultern. »Das hieÃe, die Morde hätten etwas mit Drogen zu tun? Das glaube ich nicht, oder denken Sie das?«
»Denken ist nicht mein Job, Riedwaan. Das überlasse ich Ihnen. Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, ich glaube es auch nicht. Wer immer das getan hat, scheint mit Frauen noch eine Rechnung offen zu haben.«
Piet Mouton griff nach den Instrumenten, mit denen er die intimsten Bereiche des menschlichen Körpers erforschte. Riedwaan drehte sich fast der Magen um, aber Moutons geduldige Obduktion würde zeigen, wo Amore in den letzten Tagen ihres Lebens und am ersten Tag nach ihrem Tod gewesen war. Herauszufinden, wo und wie sie gestorben war, das brachte Erkenntnisse, die sie brauchten, um ihren Mörder zu finden. In der Pathologie war es kalt. Riedwaan stellte sich auf eine lange Nacht ein.
21
Clare hatte von dem toten Mädchen geträumt, aber zu ihrer Ãberraschung wachte sie erholt auf. Es machte sie geradezu euphorisch, dass sie am Leben war, stellte sie beschämt fest. Sie lag im Bett, lauschte der Stille vor der Morgendämmerung und lieà sich noch ein wenig in ihren nachwirkenden Träumen treiben. Da war etwas an der Peripherie ihres Bewusstseins, aber immer, wenn sie sich darauf zu konzentrieren versuchte, entglitt es ihr.
Sie gab auf, als das erste Taubengurren sie endgültig in den Morgen hineinzog. Sie streckte sich und stand auf, zog ihre Laufsachen an. Trotz der Wärme in ihrer geheizten Wohnung fror sie, deshalb schlüpfte sie in ein zusätzliches Oberteil und machte sich auf den Weg. DrauÃen war es noch dunkel, nur am Horizont zeigte sich ein
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