Blutsbraeute
an ihrem Finger war sehr auffällig gewesen, deshalb war es merkwürdig, dass sie allein gekommen war. Wo war Indias Vater? Der Zorn, der in Riedwaan aufstieg, war heftig. Er wandte seine Gedanken mit aller Macht dem Mörder zu, nach dem sie suchten. Falls sie herausbekamen, wer er war, falls er einen Fehler machte, gab es eine Chance, India lebendig ausfindig zu machen. Zu seinem Verdruss war das die Wahrheit und die einzige Chance. Er griff mechanisch nach einer Zigarette, und erst, als er kein Päckchen fand, fiel ihm ein, dass er ja bereits vor einem Monat aufgehört hatte zu rauchen. Er ging hinaus, um eine Zigarette zu schnorren. Aber er hatte alle Kollegen schwören lassen, ihm keine zu geben, und sie hielten sich daran; niemand wollte ihn auch nur einmal ziehen lassen. Er versuchte, Clare anzurufen. Es kam kein Freizeichen. Entweder war sie in einem Funkloch, oder sie hatte das Handy ausgeschaltet. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als wütend darauf zu warten, dass das Kaffeewasser kochte.
Er setzte sich und zog die beiden Fallakten heran. Amore Hendricks. Charnay Swanepoel. Er betete, es werde nie eine Akte mit der Aufschrift India King geben. Aber er hatte nicht viel Hoffnung. Sie wussten, wie diese Mädchen gestorben waren, wie lange sie zum Sterben gebraucht hatten, was sie als Letztes gegessen hatten. Und dennoch deutete nichts in eine bestimmte Richtung. Es gab keine Zeugen. Was sie an DNS hatten, passte zu keiner Strafakte. Es konnte etwas mit Banden zu tun haben â ein neues Initiationsritual. Oder vielleicht eine verschlüsselte Warnung an die zunehmende
Zahl von Teilzeitprostituierten â Charnay schien eindeutig eine gewesen zu sein â, die in den besseren Gegenden auf den Strich gingen. Kelvin Landman war der ideale Kandidat. Sadistisch, brutal, gewissenhaft darin, hinter sich aufzuräumen. Gegen ihn hatte noch nie jemand ausgesagt. Das könnte die Antwort sein. Aber etwas störte ihn daran. Clare hielt Landman auch für einen Kandidaten, das wusste er. Aber sie war nicht überzeugt davon. Riedwaan steckte den Zettel, den Rita für Clare hinterlassen hatte, in die Akte.
»Bloà Nobelfloristen benutzen Golddraht. Bis Montag. R.«
Clare Harts Profil lenkte sie in eine andere Richtung. Landman, wandte sie ein, sei grausam, weil er damit etwas bezwecke. Deshalb passe er nicht in das Schema ihres Serienmörders. Für diesen Mörder, sagte Clare â und verlieà sich dabei ausschlieÃlich auf ihre Intuition â, seien die Morde reiner Selbstzweck. Sie seien zu inszeniert, die Symbolik sei für eine klare Botschaft zu obskur. Falls jemand versuchte, Prostituierte zu erschrecken, warum dann Graaffs Pool, warum nicht die Somerset Road? Riedwaan hatte schon so oft mit Clare zusammengearbeitet, dass er wusste: Sie irrte sich selten.
29
Clare war schwer ums Herz, als sie Riedwaan verlieÃ, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als ins Auto zu steigen und die einsame StraÃe hinaufzufahren, die kurvenreich
zwischen der Küste und den grünen Hügeln verlief, weich im Morgenlicht. So früh an einem Samstagmorgen war sonst niemand unterwegs. Schnee schimmerte an den Felsabhängen der fernen Berge, zerklüftete Zacken, die sich unerbittlich nach Norden reckten bis zu der riesigen Binnenlandebene des Karoo. Clare nahm das Lenkrad so fest in die Hände, dass ihre Knöchel, über denen sich die Haut spannte und rau wurde, weià hervortraten. Die KrähenfüÃe, die sich in ihren Augenwinkeln kräuselten, wenn sie lachte, verschwanden auch nicht, wenn es überhaupt nichts zu lachen gab, wie heute: an dem Geburtstag, den sie mit Constance verbringen würde. Constance war bestimmt die ganze Nacht lang auf und ab gegangen. Clare hatte den Versuch aufgegeben, Constance zu heilen, aber sie konnte sie nicht im Stich lassen. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, und ein Nieselregen setzte ein. Clare lauschte dem hypnotisierenden Geräusch der Scheibenwischer. An ihrem Geburtstag vor zwanzig Jahren, als Clare, die sich unbedingt von Constance lösen wollte, ihre Jungfräulichkeit verlor, hatte es auch geregnet.
Es regnete jetzt stärker.
Clare fuhr langsamer, erinnerte sich daran, wie das Verlangen danach, allein zu sein, sie aus dem Internat und in die Arme von Isaiah Jones getrieben hatte. Sie war drei Stunden lang vollkommen frei gewesen â hatte sich ganz dem Genuss hingegeben,
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