Blutsbraeute
hob die Strumpfhose auf und legte sie auf den Stuhl. Ein Foto von India lehnte neben dem Bett. Cathy packte es zusammen mit Indias Adressbuch in die Tasche. Sie durfte noch nicht weinen. Sie musste ihr Kind finden. Wenn sie sich auch nur sekundenlang hätte gehen lassen, wäre sie zerbrochen. Sie nahm sich zusammen.
Unten schluckte sie ein zweites Valium. Sie überprüfte ihr Gesicht im Flurspiegel. Die Haut war blass, spannte sich glatt über den Wangenknochen. Sie dachte daran, Lippenstift aufzutragen, und war einen kurzen Augenblick dankbar dafür, dass ihr Gesicht dieses Mal heil geblieben war. Sie ging zur Garage, voller Abscheu gegen das protzige kleine Auto, das ihr Brian gekauft hatte. Sie setzte zurück und fuhr die von Eichen gesäumte StraÃe entlang. Die Häuser standen so weit auseinander, dass die Nachbarn keinerlei Geräusche voneinander hören konnten. Von der Fahrt um den Berg herum nach Sea Point bekam Cathy nichts mit.
Das Polizeirevier, zu dem ihr Captain Faizal den Weg beschrieben hatte, war hässlich, ein flacher Backsteinbau mit Maschendraht an den Fenstern. Sie fühlte sich besser, als Captain Faizal sie begrüÃte. Sein Gesicht wirkte hart, aber in den Augen lag eine Verletzlichkeit, die Cathy als tröstlich empfand. Er führte sie in das unordentliche Kabuff, das ihm als Büro diente. Sie nahm die Tasse Tee mit viel Milch an, die er ihr anbot, und
dann sagte sie ihm, was er ihrer Meinung nach wissen musste.
Dass India sechzehn war. Dass sie weggegangen war, um einer Freundin bei einer Theaterprobe zuzusehen. Dass eine Freundin sie um elf mit dem Taxi hätte zu Hause absetzen sollen. Sie sagte ihm nicht, dass keine Freundin von India je ins Haus kam. Warum hätte sie ihm das sagen sollen? Dass ihre Tochter sich bei ihren Anrufen nicht gemeldet habe. Doch, India habe Kontakt mit ihrer Mutter aufgenommen. Sie habe eine SMS geschickt, in der gestanden habe, es sei alles super und es könne spät werden. Sie, Cathy, habe ferngesehen und deshalb das Handy nicht gehört, als die Nachricht gekommen sei. Und ja. Hier sei das Bild von India. Aufgenommen vor zwei Monaten, als sie und ihre Freundin Gemma ein Casting als Filmstatistinnen gemacht hätten. Ihre Rollen hätten darin bestanden, in einem Café in der Long Street herumzusitzen. Sie seien davon hellauf begeistert gewesen.
Riedwaan betrachtete das Foto des lachenden Mädchens. Ihre lange, schwarze Mähne war auf dem Bild verschwommen, eingefangen in dem Moment, als sie den Kopf zurückwarf, hingerissen von dem Fotografen. Sie hob die schönen Hände in einer spielerischen Unterwerfungsgeste. Die hohen, runden Brüste steckten fest in dem engen weiÃen T-Shirt. Ein sehr schönes Mädchen.
»Darf ich das behalten, Mrs. King?« Ihre Augen sahen fiebrig aus. Das kannte er. So hatte Shazia, vermutlich auch er, ausgesehen, als ihre Tochter verschwunden war. Cathy nickte.
»Wir brauchen eine schriftliche Vermisstenmeldung, und ich brauche eine Liste ihrer Freunde und ihrer Aktivitäten«, sagte er zu ihr. Sie nickte wieder, gab ihm das Adressbuch ihrer Tochter. Dann füllte sie das Formular aus, unterschrieb es und gab es ihm zurück.
»Ich vermute, dass sie die meisten Nummern in ihrem Handy gespeichert hat.«
»Wir tun, was irgend möglich ist, Mrs. King. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist, rufen Sie mich an. Falls jemand Kontakt mit Ihnen aufnimmt, falls seltsame Anrufe kommen, sagen Sie mir sofort Bescheid.«
Sie nahm die Karte, die er über den Tisch schob. »Ich warte zu Hause.«
»Ich schicke eine freie Mitarbeiterin zu Ihnen nach Hause. Sie wird sich in Indias Zimmer umsehen wollen â vielleicht findet sie einen Hinweis.«
»Wen werden Sie schicken, Captain Faizal?«
»Frau Dr. Clare Hart. Sie ist an der Ermittlung beteiligt.«
»Die Profilerin?«
Riedwaan nickte. Cathy Kings letzter Hoffnungsfunke verglühte. Sie streckte die Hand aus, als würde sie im nächsten Moment umfallen. Aber mit einer gewaltigen Kraftanstrengung bog sie den Rücken durch und richtete sich auf.
»Wir halten Sie auf dem Laufenden, Mrs. King. Wir tun wirklich alles, was in unserer Macht steht.«
»Auf Wiedersehen, Captain.« Sie drehte sich um und ging zu ihrem Auto.
Sie sah so schrecklich einsam aus. Riedwaan besorgte
sich noch einen Kaffee und dachte an Mrs. King. Der Ehering
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