Blutsbraeute
hing noch in der Luft und quälte ihn. Er stand auf und blickte Clare nach, als sie von ihm wegfuhr. Weg aus dem bunten, alten Malaienviertel, in dem schon seine Vorfahren gelebt hatten, fromme Moslems im Gegensatz zu ihm. Bo-Kaap war inzwischen eine Touristenattraktion, dachte Riedwaan bitter; für Clare waren er und sein Stadtteil offenbar nicht reizvoll genug. Er riss sich aus seinen trüben Gedanken los und kochte sich einen starken Kaffee, ging damit hinaus auf den kalten Hof, um den Sonnenaufgang zu sehen.
28
In einem grünen, bestens beschützten Vorort der Stadt saà Cathy King und umklammerte ihr Handy. Ihre mageren Schultern zeichneten sich unter der Kaschmirjacke ab. Sie zog die Knie an den Körper und blickte vor sich hin. Ihren Tee hatte sie nicht angerührt. Die Tasse auf dem Couchtisch kam ihr winzig vor. Es war grotesk. Fast so grotesk wie sie selbst auf dem riesigen blauen Sofa. Die Terrassentür stand offen. Der graugrüne Teppich ging in den üppigen Rasen über, der sich in sanften Wellen hinunter zum Swimmingpool erstreckte, dessen groÃes, totes Auge reglos den sonnenlosen Himmel ansah.
Cathy verabscheute den Swimmingpool, schwamm nie darin. India auch nicht.
Der Gedanke an ihre Tochter war wie ein Messerstich in die Stelle, wo ihr neuester Rippenbruch heilte. Ihr alter Arzt hatte die Augenbrauen hochgezogen, als sie zu ihm kam. »Schon wieder, Mrs. King? Sie müssen besser aufpassen.«
Das musste sie tatsächlich. Cathy sah mit trockenen Augen den Swimmingpool an. Er erwiderte den Blick. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, auf India aufzupassen. Sie hatte die ganze Nacht gewartet, war auf und ab gegangen. Ihre schöne Tochter, die sie so liebte, dass es wehtat, war nicht nach Hause gekommen. Cathy wusste, dass sie gegenüber ihrer Tochter versagt hatte â das sagten ihr die gebrochene Rippe und die Narben an den Innenseiten ihrer Schenkel. Trotz ihrer Liebe hatte sie gegenüber India versagt. Jetzt zwang sie sich, Brian anzurufen und ihm zu sagen, dass sie sich Sorgen um India machte. Er war auch nicht nach Hause gekommen. Freitags kam er nie nach Hause. Das war die einzige Nacht, in der sie zur Ruhe kam.
»Du bist ja verrückt«, zischte er sie an. »Die kleine Schlampe fickt sich wahrscheinlich um den Verstand. Genau wie das ihre Mutter täte, wenn ich sie machen lieÃe. Du unternimmst nichts, was mich in Verlegenheit bringen könnte, ist das klar? Ich sorge dafür, dass sie einen Denkzettel kriegt, wenn sie nach Hause kommt. Du rührst keinen Finger. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Brian«, flüsterte sie. Sie lieà sich nicht anmerken, dass sie da, wo ihr immer noch verletzliches Herz gewesen
war, stahlhart wurde. »Ich habe verstanden.« Und sie wartete demütig wie immer ab, dass er die Verbindung trennte. Dann warf sie einen Blick in die Cape Times , die sie aus dem Altpapiercontainer geholt hatte, und tippte die Notrufnummer ein, die am Ende des Artikels über Amore Hendricks stand.
Es war jetzt hell. Sie schloss die Augen, sammelte den Rest ihrer Kraft und drückte auf die Taste für den Verbindungsaufbau.
»Faizal.« Die Stimme klang wachsam und rau in ihrem Ohr. Cathy schwieg. »Wer ist dran?«
Cathy biss die Zähne zusammen, sie wollte nicht schwach werden. »Meine Tochter ist verschwunden. Ich bin Cathy King.«
Riedwaan spürte, wie sich seine Schultern verspannten. »Mrs. King, warum melden Sie mir das?«
»Sie ähnelt dem Mädchen aus der Zeitung. Dem Mädchen, das Sie gefunden haben. Amore Hendricks.« Ihre Stimme war kaum zu hören, als wäre ihr die Luft aus den Lungen gesaugt worden. Das Entsetzen, das sie in Schach gehalten hatte, solange es dunkel war, überwältigte sie jetzt. Sie hörte seine Stimme wieder. Sie klang gedämpft an ihr Ohr, so als säÃe Cathy in einem tiefen Schacht.
»Können Sie aufs Revier kommen?«, fragte er. »Mrs. King? Sofort? Können Sie ein Foto von ihr mitbringen â neueren Datums? Soll ich einen Streifenwagen schicken? Oder ist jemand da, der Sie fahren kann? Ihr Mann?«
»Nein! Nicht mein Mann. Er ist nicht hier. Ich komme sofort.«
Cathy holte ihre Handtasche und ging nach oben in Indias Zimmer. Es wirkte seltsam leblos, wie erstarrt. Indias Schulstrumpfhose lag hinter einem Stuhl. Sie zeigte den Umriss ihrer schlanken Beine, die runden Wölbungen ihrer Zehen. Cathy
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