Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
Vom Netzwerk:
hinfahren, wo sie wollen. Hauptsache ist: weg von hier und schlafen, schlafen! — —



Fred hatte allen Grund, seinen Auszug aus dem Mexico tunlichst zu beschleunigen. Die Flucht galt nicht einem Fremden, auch nicht der Polizei. Fred floh vor dem eigenen Vater. Einem kleinen Postbeamten aus Schöneberg. Freds Mutter ist lange tot. Wieder und wieder hatte der Alte seinem Sohn gedroht, die Hand von ihm zu ziehen und ihn seinem Schicksal zu überlassen, wenn er nicht die kleinen Diebereien bei Verwandten und Bekannten lassen würde. Unzählige Male war Fred von zu Hause getürmt, unzählige Male hatte der Vater selbst ihn vor die Tür gesetzt, wenn die Wiedergutmachung des von Fred angerichteten Schadens wieder einmal den halben Monatslohn ausmachte. Aber kaum war Fred einige Tage weg, da ging der alte Mann tagelang auf die Suche nach seinem Jungen. Einmal schon hatte er ihn aus dem Mexico herausgeholt. Später führte die Polizei ihm den Jungen zu. Dann, wenn der Fred glücklich wieder da war, wurde er gottsjämmerlich verprügelt. Aber bald fiel Fred in seine alten Sünden zurück. Er verkaufte Vaters Garderobe, war eines Tages sogar im Begriff, das Klavier von einem Händler abholen zu lassen.
    Und heute hatte es den Alten wieder gepackt. Er ging seinen Jungen suchen. Fand ihn glücklich. Verlor ihn auch nicht aus den Augen, als Fred schon über den Alexanderplatz lief. Mehrere Straßenbahnen in enger Folge schnitten Fred unbarmherzig den Weg ab. Der Alte holte ihn ein. Auf der Straße sagte er nichts, die zitternde Hand preßte sich nur fest um Freds Arm. Dann nahmen sie einen Omnibus, stiegen am Stettiner Bahnhof in den Omnibus 5 um, Richtung Schöneberg.Zu Hause erwartete Fred die übliche Prügel. Sie blieb aus. Der Alte briet ihm sogar ein Frühstück von vier Eiern und setzte es ihm wortlos vor. Zog seinen Postrock an und sperrte Fred ins Hinterzimmer. Von beiden Seiten wurde kein Wort gesprochen.
    Fred sitzt im Schlafzimmer in der vierten Etage. Zimmer- und Wohnungstür sind verschlossen. Türmen, flitzen, zur Clique zurück, natürlich. Aber wie rauskommen? Er hat nicht einmal ein Stück Draht, aus dem er sich einen Dietrich biegen könnte. Verdammt. Und die Senge vom Alten heute abend. Zwei, drei Stunden vergehen. Er kann weder schlafen, noch sitzen, noch lesen. Sogar die Spiegeleier hat er stehen lassen. Nur: wie komm ich hier raus? Eben hat er sich wieder aufs Bett geworfen, da!, der Cliquenpfiff! Fenster auf. Walter und Erwin stehen im Hof und recken die Hälse. Machen fragende Grimassen und gestikulieren. Sekunden rennt Fred ratlos im Zimmer umher, dann schreibt er rasch einen Zettel: „Der Alte hat mich eingesperrt. Könnt ihr mir ein Stück Draht besorgen für eine Tändel? Damit krieg ich vielleicht die Türen auf.“ Den Zettel bindet er an einen Zwirnsfaden und läßt ihn hinab. Walter und Erwin lesen und verschwinden eiligst. Fred wartet am Fenster. Triumphierend kommen die Jungens mit einem Meter Draht, in der nächsten Eisenhandlung gekauft. Fred holt den Faden mit dem Draht ein. Biegt und biegt mit den bloßen Händen. Es will nicht gehen, der Draht ist zu stark. Fred klemmt das Drahtende zwischen eine Schubladenspalte. Das Holz bekommt eine tiefe Kerbe, aber der Draht biegt sich in die gewünschte Form. Der primitive Dietrich, die Tändel, istfertig. Das einfache Schloß der Zimmertür gibt schon nach kurzer Zeit nach. Einmal. Unten stehen Walter und Erwin und pfeifen ungeduldig. Jetzt an die Wohnungstür. Sicherheitsschloß, mein Junge, nicht so einfach. Eine viertel, eine halbe Stunde vergeht. Das Schloß rührt sich nicht. Fred heult vor Wut. Da geht es plötzlich. Knirschen, Quietschen, dann zweimaliges Knacken: auch die Wohnungstür ist auf. Mütze auf, Mantel an. Einen Augenblick besinnt Fred sich, dann rast er in das unverschlossene Wohnzimmer und bald hat er, was er sucht: seine goldene Konfirmationsuhr. Die Wohnungstür drückt er ins Schloß, dann fegt er die Treppen hinab.
    „Mahlzeit, die Herren!“ begrüßt er seine Kameraden. Fred ist vergnügt und voller Schadenfreude über das Gesicht des Ollen , wenn er die Wohnung leer findet und dazu noch bemerkt, daß Fred auch dieses Mal nicht mit leeren Händen gegangen ist. Nicht eine Spur von Empfinden oder Scham beweist er, als er die gestohlene Uhr zeigt. Ist ja sein Eigentum. Zwar, der Alte hat sie von jahrelangen Spargroschen gekauft, aber, geschenkt ist geschenkt … Soll er sie versetzen oder verkaufen? Der Pfandleiher

Weitere Kostenlose Bücher