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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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mehr betreten hat. Nur einmal, im Dunkeln, wegen der Signalpistole. Er registriert im Augenwinkel die leeren Bierflaschen, die schmutzigen Sachen, die Essensreste, Zeitungen, Zeug. Er hört, dass sein Vater ihm folgt.
    » Mein Zimmer«, murmelt er.
    Darius zerschlägt die Scheibe der Vitrine, hinter der sein Vater all die Dinge aufbewahrt, die er seit Jahrzehnten sammelt.
    Er nimmt die Segelschiffe aus dem Schrank mit der zerborstenen Scheibe und zertritt eines nach dem anderen auf dem Dielenboden. Er öffnet den Karton mit den Briefmarkenalben und hebt eines nach dem anderen heraus. Er zerreißt die Seiten, zerknüllt die Marken. Er achtet nicht auf den Vater, der stumm und gebrochen unter dem Türrahmen lehnt.
    Er zerrt die Zierwaffen des Vaters von ihren Halterungen, nimmt sie aus den mit Samt ausgeschlagenen Schachteln, zerbricht die Schwerter, indem er seitlich auf die Klingen tritt, zerbricht sie ein zweites Mal, indem er die Reste in den Türspalt klemmt und sich mit seinem Gewicht gegen den Knauf lehnt. Drei Dolche und den Trommelrevolver aus dem Zweiten Weltkrieg nimmt er mit, dazu die Schachtel mit der Munition.
    Er zertritt die Schrankwände aus Pressspan und verlässt das verwüstete Zimmer. Er geht an seinem Vater vorbei, der weder den Kopf hebt noch etwas tut, sondern ihn gehen lässt ohne ein weiteres Wort.
    In der neuen Wohnung mit dem riesigen Gemeinschaftszimmer legt Darius den Beutel mit den toten Kaninchen ins leere Gefrierfach.
    Dann setzt er sich in der Küche auf einen Stuhl, kämpft mit den Tränen und holt schließlich sein Handy aus der Tasche. Er sucht unter den Kontakten, verharrt bei Hakan, bei Alina, wählt eine Ziffer, eine zweite, drückt die Nummer unwillig weg und zögert. Er legt das Handy auf den Tisch, schiebt es von sich fort, nimmt es wieder in die Hand. Obwohl er den Eindruck hat, einen Fehler zu begehen und im Kopf die Stimmen der anderen hört: »Nazibraut, Nazibraut!«, tippt er hastig die Nummer ein und schickt eine SMS an Rike.
    Darius hat sich ein wenig darüber gewundert, wie rasch Rike auf seine Nachricht geantwortet hat. Auch deswegen hat er am verabredeten Treffpunkt, einer Tankstelle nicht weit von der neuen Wohnung, darauf geachtet, ob Rike allein kommt. Er hat sie fast zehn Minuten warten lassen, um sicher zu sein, dass ihr kein Skinhead folgt, der ihm auflauern will, und hat die leicht schnippische Begrüßung einfach überhört.
    Jetzt sitzen sie in einer Kneipe am Südstern nahe der U-Bahn-Station, in der sich außer ihnen kaum jemand befindet. Selbst die Bedienung, eine Inderin, lässt sich nur selten blicken. In einer Ecke knutschen zwei Pärchen. Ein Betrunkener ist mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen. Ein anderer redet mit seinem Hund, leise, aber unaufhörlich.
    Vor Rike, ihre extrem kurzen Haare sind dunkelblau gefärbt, steht ein schales Bier. Vor Darius steht der zweite doppelte Espresso. Den Grund der Tasse bedeckt eine dicke Schicht Zucker. Auch ohne das Koffein hat Darius den Eindruck, wacher zu sein als während der letzten Tage.
    Rike ist gesprächig und wirkt verblüffend gelöst, fast so, als habe sie ein Treffen mit Darius heimlich ersehnt. Sie erzählt ihm, was sie während des vergangenen Jahres gemacht hat: dass sie ihre Lehre im Einzelhandel abgebrochen und sich mit ihren Freunden oft gestritten habe. Dass sie sich trotzdem noch mal habe überreden lassen, etwas zu tun gegen »na, eure Plakate in unsrem Viertel«. Sie schildert, wie erstaunt sie gewesen sei, als »ausgerechnet du mir die Maske vom Gesicht gerissen hast«. Dass sie, dort auf dem Boden des S-Bahn-Waggons, eigentlich damit gerechnet habe, dass es jetzt aus sei: »Dass ihr uns aus der Bahn schmeißt, gleich so, aus dem fahrenden Zug.«
    Gedankenverloren nippt sie an ihrem Bier.
    Darius hat bisher wenig geredet. Er sitzt Rike gegenüber, stellt hin und wieder eine Frage, lässt selten eine Bemerkung fallen und freut sich, dass er den Mut gefunden hat, ihr eine SMS zu schicken und sich mit ihr zu treffen. Auch wenn er zwischendurch die Stimmen der anderen in seinem Kopf zu hören meint: »Nazibraut, Nazibraut ! – Verräter!«
    Schließlich erzählt Rike, was sich nach dem Zwischenfall auf dem Bahnhof bei ihren Freunden abgespielt habe: »Großes Trara! Rache! Rache! Und als ich gesagt habe: ›Denkt doch mal nach: Die hatten un s – und haben uns laufen lassen!‹, da gab’s fast ’ne Prügelei. Da wollten mich doch tatsächlich welche von uns schlagen.«
    Danach habe

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