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Blutschande

Titel: Blutschande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Therese Philpsen
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Das Blut schoss ihr in die Wangen, und sie schaffte es gerade noch, den Hut abzunehmen, bevor sie sich über das Waschbecken beugte und sich erbrach.

2
     
    Es war am Vormittag des 17. September, ein Dienstag, an dem in Dänemark endlich der Spätsommer begann. Da erfuhr Per Roland, dass er wegmusste. Wenn man sich denn überhaupt erdreisten konnte, von einem Spätsommer zu sprechen, dachte er müde, schließlich war der Sommer auch in diesem Jahr wieder ausgeblieben.
    Die letzte Ausgabe der Illustrierten Wissenschaft lag vor ihm auf dem Tisch. Sie war noch immer auf der Seite aufgeschlagen, auf der die interessante Frage gestellt wurde, wer eigentlich Neil Armstrong gefilmt hatte, als dieser zum ersten Mal seinen Fuß auf den Mond setzte. Roland hatte den Artikel gerade gelesen, als das Telefon klingelte, und obgleich danach alles sehr schnell gehen musste, konnte er nicht umhin, den Rest des Textes schnell zu überfliegen, um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, die so vielen Konspirationstheorien Nahrung geboten hatte: Wer hatte den Mann gefilmt, wenn er doch der erste war? Er übersprang einen Abschnitt und fand, was er suchte. Angeblich war auf der Seite der Mondlandefähre Eagle eine kleine Kamera montiert gewesen, die Armstrong aktiviert hatte.
    »Gott, wie banal«, brummte Per Roland.
    Er klappte das Magazin zu und steckte es in die Mappe, die er mit nach Helsingør nehmen wollte. Immer gab es logische Erklärungen. Auch bei seinen Ermittlungen. Davon wusste er nach sechs Jahren als Leiter der Mobilen Staatlichen Ermittlungseinheit ein Lied zu singen, auch wenn seine Gruppe 2002 aufgeteilt worden war und die Kollegen jetzt bei den unterschiedlichsten Abteilungen Dienst taten. Heute gehörten sie dem Nationalen Ermittlungscenter NEC an, und einige seiner Kollegen dem KTC, dem Kriminaltechnischen Center.
    Gerade betrat Karen Gruppe sein Büro. Sie war die Leiterin des NEC und damit seine direkte Vorgesetzte, was sie allem Anschein nach zu der Annahme verleitete, sie stehe über so profan-höflichen Umgangsformen wie zum Beispiel dem Anklopfen.
    »Sie meinen, ich schmeichle mich bei den Medien ein«, sagte sie.
    Sie setzte sich auf einen Stuhl und musterte lächelnd, ja fast hochmütig den frisch ernannten Leiter der neu eingerichteten NEC-Sondereinheit für Kriminalfälle mit hohem Gewaltpotenzial oder grenzüberschreitendem Charakter. Im Präsidium nannte man sie »Ledernacken«, eine Anspielung auf die beinharten US-Marines, die bei ihrer Gründung 1775 Uniformen mit Lederkragen trugen, um ihren Gegnern das Kopfabhacken zu erschweren. Der Spitzname war in erster Linie aber ironisch gemeint, denn Per Roland sah in sich selbst alles andere als einen Ledernacken, eher eine Samtjacke.
    »Das haben Sie gesagt, nicht ich.«
    Karen Gruppe beugte sich vor.
    »Ein elfjähriges Mädchen ist seit über einem Tag verschwunden. Sie wissen ganz genau, dass so etwas immer ein Hundert-Prozent-Fall ist, bei dem wir alle nur erdenklichen Ressourcen einsetzen. Wir haben zwei zu Tode betrübte Eltern, die nicht wissen, wie es weitergeht, und ihre ganze Hoffnung auf uns richten. Wir müssen diesen Menschen helfen. Davon abgesehen ist das Mädchen der Augenstern von ganz Dänemark. Engagieren wir uns wirklich mehr, weil sie prominent ist? Weil sich ihre Eltern in allen möglichen Nachrichtensendungen die Augen ausweinen? Weil sich die Hälfte der dänischen Bevölkerung in die Facebook-Unterstützungsgruppe der Eltern eingeschrieben hat, Nachrichten schreibt und ihnen über die neu eingerichtete Webseite Geld für die ausgesetzte Belohnung spendet? Ja, verdammt! Und es wirkt nach außen hin gar nicht gut, dass wir sie noch immer nicht gefunden haben. Nach der Kritik an der Polizeireform könnten wir ein bisschen Wohlwollen von den Medien verdammt gut gebrauchen. Es ist schließlich unsere Aufgabe, diese Umgestaltung wie einen Erfolg aussehen zu lassen. Auf jeden Fall braucht die örtliche Polizei Unterstützung, um dem Druck standzuhalten, der von allen Seiten auf sie ausgeübt wird. Die Öffentlichkeit versteht einfach nicht, warum das Mädchen noch immer nicht gefunden worden ist.«
    »Hm«, brummte Roland.
    Karen Gruppe sah ihn verständnislos an.
    »Was?«
    »War es nicht gerade Ziel der Polizeireform, die örtlichen Polizeieinheiten zusammenzulegen und zu verstärken, damit sie in Zukunft allein auch mit solch großen Fällen klarkommen?«
    Jetzt war es Karen Gruppe, die brummte.
    »Ich bitte Sie ja auch nur höflich

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