Blutschande
gar nichts darf«, erwiderte Liv grinsend und ließ die Zigarette mit der Zunge auf und ab wippen, bis Ole die Augen verdrehte. Nach ein paar schnellen Zügen drückte sie die Kippe mit der Stiefelspitze aus und ging dann mit langen Schritten auf einen schwedischen Kollegen zu, der in einem Auto mit geöffneter Tür saß. Als er sie erblickte, stieg er aus dem Wagen.
Ole gab ihm die Hand.
»Ole Hansen, Polizei Helsingør.«
Ole bestand noch immer darauf, »Polizei Helsingør« zu sagen.
»Liv Moretti, Polizei Nordseeland.«
Auch sie gab ihm die Hand.
»Isaksson«. Der schwedische Beamte sah sie etwas verwundert an. »Moretti? Wie der Moretti?«
Liv zog leicht genervt die Augenbrauen hoch.
»Ja, wie Guarino ›Willie‹ Moretti.«
Dann fuhr sie brüsk fort: »Was wissen wir?«
Isaksson sah die beiden verwirrt an.
»Ein Mann, etwa Mitte vierzig, dem Aussehen nach Däne. Er hat sich in der Herrentoilette auf der Backbordseite verbarrikadiert«, sagte er.
»Ist er bewaffnet?«, fragte Liv, während sie die kurze Lederjacke auszog und die dicke kugelsichere Weste überstreifte, die ihr schwedischer Kollege ihr reichte. Dann schob sie den weichen braunen Männerhut zurecht, den sie fast immer auf dem platinblonden Haar trug.
»Das behauptet er jedenfalls.«
»Was sagt er, wenn Sie mit ihm zu reden versuchen?«
»Dass er dem Mädchen eine Kugel in den Kopf jagt, wenn sich jemand nähert. Er will nur mit Ihnen reden. Er hat ganz konkret nach Liv und Ole von der Polizei in Helsingør gefragt.«
»Danke, dass wissen wir bereits«, brummte Ole. »Dann müssen wir also davon ausgehen, dass er bewaffnet ist. Wissen wir, wie er heißt, haben wir irgendeinen Namen?«
»Lars, er hat sich Lars genannt. Kennen Sie ihn?«
»Kein Nachname?«
Isaksson schüttelte den Kopf.
»Und das Mädchen?«
»Sie ist bei ihm da drin.«
»Haben Sie Schreie gehört oder Weinen?«
»Nein, keinen Laut.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Nein.«
»Aber Sie sind sich wirklich sicher, dass sie da drin ist? «
Ole war in seiner Verärgerung richtig laut geworden.
»Ja, wir sind ziemlich sicher. Ein Zeuge hat gesehen, wie er das Mädchen durch die Tür nach drinnen gezogen hat.«
Liv warf ihrem Partner einen langen Blick zu. Auch er streifte sich jetzt die kugelsichere Weste über und zog die Ärmel des grauen Hemdes nach unten, das vielleicht einmal braun gewesen war.
»Und die Fähre ist evakuiert?«, fuhr er fort.
»Ja, außerdem ist ein Sondereinsatzkommando unterwegs.«
»Wir wollen bloß das Mädchen da rausholen und mitnehmen. Lebendig«, brummte Ole abweisend und versuchte, schwedisch zu klingen, wobei sein Akzent bestenfalls nach Bornholm klang.
Liv wusste, dass er nichts für Kommandoeinheiten übrighatte, die im besten 007-Stil angerauscht kamen und wild um sich schossen, bis der Kidnapper blutend am Boden lag. Er war der Meinung, dass auch die Schwachen der Gesellschaft, Menschen, die aus irgendeinem Grund in Schwierigkeiten geraten und aus Verzweiflung kriminell geworden waren, einen Anspruch auf Hilfe hatten und nicht wie Schießbudenfiguren abgeknallt werden durften. Für ihn steckte hinter jedem Verbrecher ein Mensch.
Liv sah darin eine seiner vielen guten Seiten.
»Wir sollten uns lieber versichern, dass es dem Mädchen gut geht«, sagte sie zu ihm. »Vielleicht können wir sie ein bisschen beruhigen. Wenn sie denn überhaupt da drin ist«, fügte sie flüsternd hinzu.
Ole nickte mürrisch.
»Wir gehen rein«, teilte er dem schwedischen Kollegen mit.
Sie folgten ihm in die Hamlet , in der die Luft stillstand. Das Plätschern des Wassers draußen am Schiffsrumpf klang ebenso metallisch wie alles andere auf diesem Schiff. Metallisch und schwarz-weiß lackiert. In der Hoffnung, damit etwas Atmosphäre zu erzeugen, hatte man im Inneren der Fähre alte Bilder des Schiffes aufgehängt. Die Polizisten liefen durch das Bistro mit seinem Holzboden und dem Selbstbedienungsbüffet mit Obst, Fisch- und Fleischgerichten. Hier schmückten Plakate die Wände, das Design war kalt und skandinavisch.
Sie gingen langsam über den Flur, bis sie zu der verschlossenen Tür kamen, hinter der sich der Mann mit dem Mädchen verschanzt hatte. Zwei Beamte der schwedischen Polizei hielten sich im Hintergrund.
Liv presste sich neben der Toilettentür mit dem Rücken an die Wand. Ole folgte ihrem Beispiel auf der anderen Seite der Tür.
»Lars?«, rief Liv.
Sie bekam keine Antwort.
»Lars? Wir sind von der dänischen
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