Blutschande
Mast. Wie lang war es? 18 Meter? Es beschrieb eine elegante, lange Linie, hatte einen Rumpf aus Fiberglas und natürlich ein hölzernes Ruder.
»Ein schönes Schiff«, sagte er voller Bewunderung.
»Ja, wir haben viel Freude daran«, antwortete Michael Junge-Larsen.
»Eine Swan 48, nicht wahr?«
»Ja, stimmt.«
»Ein richtiges Regattaboot. Sehr schnell dank des kurzen Kiels«, sagte Roland zu seinen Kollegen. »Versteht ihr, durch den kurzen Kiel dreht es sehr schnell, das ist wichtig, wenn man an der Tonne kehrt.«
»Stimmt«, sagte Michael Junge-Larsen.
»So ein Boot kriegt man gebraucht kaum unter 500 000 Euro, nicht wahr?«
»Ja, möglicherweise.«
»Sie wissen das nicht?
»Doch, das stimmt schon«, antwortete Junge-Larsen verärgert. »Jetzt sagen Sie mir endlich, was Sie von uns wollen.«
»Es geht um Ihre Tochter«, sagte Roland. »Wir glauben, dass Sie und Ihre Frau sie selbst umgebracht haben. Und wir glauben, dass Sie sie in den Kriechkeller gelegt haben, damit sie nie gefunden wird. Für den Fall, dass sie doch entdeckt werden sollte, haben Sie ihr die Hände gefesselt, damit es wie einer der alten Morde aussieht. Sie haben nur ein Detail vergessen.«
Roland machte eine Pause. Anne Grethe Junge-Larsen hatte zu weinen begonnen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Roland ging zu ihr.
»Sie haben den falschen Knoten gemacht«, sagte er dann und zog den Kragen ihres hochgeschlossenen Pullovers nach unten. Vier längliche Kratzwunden kamen zum Vorschein.
»Eine hässliche Wunde«, sagte er. »Hat sie sich sehr gewehrt?«
Die Frau schluchzte laut.
Per Roland blickte über den Hafen. Er liebte das Geräusch von Booten auf dem Wasser. Dann drehte er sich wieder zu dem Paar um.
»Sie haben die Medien ausgenutzt«, sagte er dann. »Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, dass Sie das selbst getan haben. Diese liebevollen Eltern. Diese armen Menschen. Das war klug von Ihnen.«
Anne Grethe Junge-Larsen schluchzte immer lauter und bestätigte Rolands Theorie. Dann nickte er Liv und Max zu, die vortraten und beiden Handschellen anlegten.
»Es ist 14.06 Uhr, ich verhafte Sie wegen des Mordes an Ihrer Tochter, Cecilie Junge-Larsen. Alles, was sie …«
38
Wir dachten doch, wir würden etwas Gutes tun«, sagte Anne Grethe Junge-Larsen.
Sie saßen auf dem Bett in Cecilies Zimmer, umgeben von Puppen und Kuscheltieren. Anne Grethe Junge-Larsen nahm ein weißes Plüschkaninchen mit einer blauen Hose und einer roten Fliege, streichelte es, drückte es an sich und schnupperte daran. Im Haus am alten Strandvej roch es abgestanden. Alles wirkte verlassen, obgleich die Einrichtung unverändert war.
Das Team hatte die Eltern mit ins Haus genommen, um die letzten Details des Handlungsablaufs zu klären.
»Eine Sache verstehe ich nicht«, sagte Per Roland. »Wie konnten Sie glauben, dass es möglich ist, ein Kind von Ihren Nachbarn zu kaufen, ohne dass jemand das bemerkt? Was ist mit den Behörden, dem Einwohnermeldeamt, dem Jugendamt? Hat sich denn niemand darüber gewundert, dass Sie plötzlich ein Kind hatten?«
Die Eltern sahen sich an, als überlegten sie stumm, wer diese Frage beantworten sollte. Lange Lind saß auf dem Teppich, während Max Motor gemeinsam mit Anette am Fenster stand. Carsten und Miroslav saßen still auf einer Bank, während Liv und Roland vor den Eltern standen und auf deren Antwort warteten.
Schließlich ergriff Anne Grethe Junge-Larsen das Wort.
»Ich habe damals ja als Hebamme gearbeitet. In dieser Funktion hatte ich Zugang zu den Dateien des Einwohnermeldeamtes. Jedes Mal, wenn ich ein Kind auf die Welt gebracht hatte, habe ich per Computer alle Details eingegeben. Dadurch wurde dann eine neue Personennummer generiert. Es war ein Leichtes für mich, Cecilie als mein Kind einzutragen und eine Nummer für sie zu bekommen. Sie war ja noch nirgendwo verzeichnet. Aus Sicht der Behörde gehörte sie ja noch niemandem.«
»Und es hat sich niemand gewundert? Niemand in Ihrem Bekanntenkreis und auch keiner Ihrer Ärzte? Ich meine, Sie waren doch noch nicht einmal schwanger.«
Liv dachte an ihre eigenen Schwangerschaften, während der sie unablässig von Ärzten oder Hebammen überprüft worden war.
»Ich war schwanger. Kurz bevor wir … Cecilie bekamen«, antwortete Anne Grethe Junge-Larsen. »Aber ich habe das Kind durch eine Fehlgeburt verloren. Wie schon vier Mal zuvor. Ich war so unglücklich, dass ich meinem Arzt nie
Weitere Kostenlose Bücher