Blutschnee
Geld, das sie nicht besaßen. Obwohl
sie auch noch die Kosten des Anwalt zu begleichen hatten, den sie beauftragt hatten, April zurückzuholen, verschuldeten sie sich weiter, um die Särge und die Grabstellen auf dem Friedhof des Twelve Sleep County zu kaufen. Die Gräber lagen neben der Ruhestätte von Ote Keeley, dem ermordeten Ausrüster, der hier vier Jahre zuvor in seinem Pick-up beigesetzt worden war. Dass sie diese Begräbnisse ausrichteten, löste bei manchem in Saddlestring Verwunderung aus und war in den Lokalen der Stadt Gesprächsthema.
Die »Schießerei am Battle Mountain«, wie sie genannt wurde, verschwand schnell aus den Nachrichten der großen US-Sender und hielt sich auch in Wyoming und im Twelve Sleep County nicht viel länger in der Berichterstattung. Lediglich Verschwörungstheoretiker und Leute, denen selbst schon übel mitgespielt worden war, blieben länger interessiert. Robey Hersig erklärte Joe, das liege an der Unzugänglichkeit des Lagers, am fehlenden Medienrummel, an wichtigeren Kriegsnachrichten und am Fehlen fernsehtauglicher Bilder. Ohne Bilder – so Hersig – gebe es keine Nachrichten. So weit hatte der verstorbene Dick Munker Recht gehabt.
Das Geschehen am Battle Mountain erlangte im Gewissen der Nation also nicht den Stellenwert von Waco und Ruby Ridge oder der Montana Freemen. Trotz hitziger Diskussionen in Internetforen und obwohl die Sache überall im gebirgigen Westen unter der Oberfläche brodelte, verwies der Mangel an zuverlässigen Nachrichten die Geschichte auf die hinteren Zeitungsseiten. Robey berichtete Joe, einige Souveräne, die damals hatten fliehen können, hätten Journalisten in den verschiedensten Teilen der USA ihre Geschichte angeboten, seien aber für unglaubwürdig befunden worden.
Melinda Strickland wurde in einem langen, von Elle Broxton-Howard verfassten Beitrag der Illustrierten Rumour als Heldin gefeiert. Ein anderer Beitrag im Magazin Us – »Lady Ranger widersetzt sich dem System und rettet einen Wald« – erschien mit einem Foto, auf dem Melinda Strickland mit blonden Strähnchen und nackten Füßen daheim auf dem Sofa saß und ihren Hund an sich drückte. Das Kamerateam eines Kabelfernsehsenders kam nach Saddlestring und drehte einen Wohlfühlbeitrag über Broxton-Howard und Melinda Strickland für eine Nachrichtenshow.
Infolgedessen baute Broxton-Howards US-Fernsehagent dieses Segment aus, so dass seine attraktive und vor der Kamera ungemein präsente Klientin, deren Akzent seit ihrer Abreise aus Saddlestring ausgefeilter und stärker geworden zu sein schien, in einigen Talkshows und Dauernachrichtensendungen auf Kabelkanälen zu bewundern war. Elle Broxton-Howard erschien nun wöchentlich an mehreren Abenden als bezahlte Analytikerin im Fernsehen, um Fragen der Umwelt und der sozialen Konstitution der Geschlechter zu erörtern.
Seit Januar hatte Broxton-Howard drei Nachrichten auf dem AB in Joes Büro hinterlassen. Sie wolle noch immer seine Geschichte herausbringen, sagte sie. Sie »wittere« eine sechsstellige Summe für eine Filmoption. Sie könnten die Einzelheiten ja später besprechen, wenn sie sich träfen. Joe hatte noch immer nicht zurückgerufen.
Als Marybeth eines Abends gedankenverloren durchs Programm zappte, erschien Broxton-Howards Gesicht auf dem Bildschirm. Marybeth verdrehte die Augen und wechselte rasch den Kanal.
Bud Longbrakes Frau – die heimliche Geliebte von Nate Romanowski, die auf Kreuzfahrt um die Welt gegangen war – schickte ihrem Gatten die Scheidungsdokumente aus Nevada. Er unterschrieb. Eine Woche später zog Missy Vankueren auf die Longbrake Ranch.
Nate Romanowski war verschwunden. Joe stellte erstaunt fest, dass die Mitglieder des Angriffsteams ihn nicht als den Mann identifiziert hatten, der auf sie gefeuert hatte. Sein dicker Motorschlittenoverall und sein Helm hatten ihn unkenntlich gemacht. Sie nahmen irrtümlich an, der Schütze sei ein Souveräner gewesen, der sich aus dem Lager gestohlen und von hinten angeschlichen habe. Ballistische Untersuchungen konnten die mächtigen Geschosse, die die Raupen zerstört hatten, nicht identifizieren, weil die Kugeln so verformt waren, dass sie sich keiner Waffe zuordnen ließen. Joe begriff, dass nur zwei Personen Nate Romanowski als den Schützen hätten identifizieren können: Dick Munker und er selbst.
Joe erzählte den Ermittlern aus Wyoming und Washington alles, was er über den Vorfall an jenem Tag und dessen Vorgeschichte wusste – nur die
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