Blutschnee
und Joe nahm an, dass er in einen Gewehrlauf blickte, konnte den Mann, der ihn angeredet hatte, aber nicht erkennen.
»Jagdaufseher Joe Pickett«, sagte er. »Bitte legen Sie die Waffe weg.« Seine Stimme klang ruhiger als erwartet.
Der Gewehrlauf verschwand, doch der Mann hinter der Barrikade schwieg.
Joe wandte sich wieder dem Lager zu und beobachtete, wie sich die Tür des Wohnwagens öffnete, an den der Zeltbauer geklopft hatte. Der große Mann, der Joe bereits in der Kirche aufgefallen war, trat heraus. Der Mann, in dem Sheridan den Anführer vermutet hatte.
Langsam schritt er den Hang hinunter ans Tor. Sein Umriss glich tatsächlich dem eines Bären – mit breiten, hängenden Schultern, massivem Kopf, fleischigem Mund und schlaffen Wangen. Joe schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig und mindestens hundertdreißig Kilo. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass manche Vorhänge etwas beiseitegeschoben und in einigen Wohnwagen die Jalousien ein wenig hochgezogen worden waren. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie viele Waffen auf ihn gerichtet sein mochten. Sollte sich die Lage plötzlich zuspitzen und er in seiner Jacke nach der Pistole suchen müssen, hätten der Mann mit der Schrotflinte hinter der Barrikade und vielleicht mehrere Dutzend andere Zeit genug, ihn abzuschießen.
Als der Mann sich dem Stacheldrahttor näherte, setzte er sich einen braunen Filzschlapphut auf. Er öffnete nicht und bat Joe nicht hinein, streckte ihm aber zwischen den Drähten die behandschuhte Rechte entgegen.
»Wade Brockius«, sagte er und las Joes Namensschild. »Mr. Pickett – wie kann ich Ihnen helfen?« Joe schüttelte ihm die Hand, bemüht, seine Beklommenheit zu bemänteln, vermutete aber, dass es ihm nicht gelang.
Brockius hatte eine sehr tiefe Stimme mit leichtem Südstaatenakzent und sanfte, ausdrucksstarke Augen.
»Ich hatte gehofft, Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten«, sagte Joe. Er hörte das Ticken des Kühlers unter der Motorhaube seines Pick-ups, der hinter ihm stand.
Brockius lächelte schwach. »Geht es um die Wapitis, die wir auf der Wiese gefunden haben?«
»Unter anderem.«
»Wir haben sie bloß eingesammelt«, erklärte Brockius. »Sie versorgen uns auf Monate hinaus mit Fleisch. Ich denke nicht, dass wir damit gegen ein Gesetz verstoßen haben.«
»Stimmt.« Joe nickte. »Offen gestanden bin ich froh, dass das Fleisch nicht auf der Lichtung verrottet.«
Brockius musterte Joe und wartete, was als Nächstes kam.
»Wie haben Sie von den Kadavern erfahren?«, fragte Joe und beobachtete Brockius dabei genau.
»Unsere Vorhut hat die Schüsse gehört«, gab Brockius leichthin und ohne Zögern zurück. »Fünf von uns waren hier oben, um den Zeltplatz zu besetzen, bis wir Übrigen nachkamen. Sie hörten einen Haufen Schüsse weiter oben in den Bergen, und nachdem wir alle hier waren, fuhren sie mit ein paar Motorschlitten hoch, um nachzuschauen, was passiert war. So haben sie die toten Wapitis entdeckt.«
Joe nickte. Das erschien ihm plausibel.
»Haben Ihre Leute auf der Wiese noch irgendwen gesehen oder gehört?«
Brockius schüttelte den Kopf. »Sie sind erst am nächsten Morgen hochgefahren. Bei dem Sturm konnten sie am Abend nicht los.«
Das war am ersten Tag, an dem ich eingeschneit war, überlegte Joe. Auch die zeitliche Abfolge der Ereignisse wirkte überzeugend. Er wechselte das Thema.
»Sie wissen sicher, dass Sie sich in einem Bundesforst aufhalten. «
»Ja, das ist uns bewusst.«
»Ist Ihnen auch klar, dass Sie hier nur eine bestimmte Zahl von Nächten zelten dürfen?«
Brockius’ Augen wurden schmal, und das Sanfte darin wich einer Härte. »Sind Sie auch von der Forstverwaltung?«
»Nein«, erwiderte Joe rasch. »Ganz und gar nicht.«
»Gut. Denn ich möchte mich darüber wirklich nicht mit Ihnen streiten. Unseres Wissens ist das ein öffentlicher Zeltplatz in einem Bundes forst. Also gehört der Wald den Bürgern der Vereinigten Staaten. Er gehört also uns – genau wie allen anderen Amerikanern. Ich freue mich deshalb, dass Sie uns nicht auffordern, unseren Wald zu verlassen.«
Joe straffte sich innerlich. »Es gibt andere … Beamte der Forstverwaltung, die daraus womöglich eine Affäre machen wollen. Dieser Stacheldraht ist eine Provokation.«
Brockius seufzte. »Beamte der Forstverwaltung sind Diener der Bevölkerung, oder?« Das klang eher wie eine Feststellung als wie eine Frage. »Sie arbeiten für uns. Nach meiner Überzeugung sind sie unsere
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