Blutschuld
vor Angst steifen Fingern an Strähnen ihres nassen Haars. »O Gott, bitte, beeilen Sie sich!«, flehte sie. »Sie bewegt sich nicht mehr!«
Weißer, dichter Dampf waberte vor dem Fenster des hermetisch abgedichteten Raums, viel zu verflucht dicht, um irgendetwas erkennen zu können. »Wie lange ist sie denn schon da drin?«, wollte Naomi wissen.
»Keine Ahnung!«
Naomi packte den Türgriff und rüttelte mit aller Kraft daran. Das vermaledeite Ding rührte sich nicht. »Wo befindet sich die Steuereinheit, die die Tür schließt?«, fragte sie.
»Es ist eine mechanische Tür, keine automatische.« Phins Stimme gleich hinter ihr klang grimmig. »Techniker von der Wartungsabteilung sind schon unterwegs.«
Naomi stieß sich von der Tür ab. Unauffällig warf sie einen Blick auf das golden glänzende Tableau mit den Anzeigen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die in der Saunakabine herrschten. Die Anzeigen lagen alle im roten Bereich.
Der Blondschopf warf sich gegen die Tür. »Grandma!«
»Cally!« Phins Stimme, bestimmt und von unmerklicher, aber dennoch unüberhörbarer Autorität, schallte über dass Wasser der Schwimmbecken hinweg und brach sich an der gegenüberliegenden Wand. Er wirkte ruhig und gefasst, obwohl er den Namen brüllte. Und obwohl er recht blass um die Nase war. »Barbara, bitte gehen Sie mit Cally.«
»Aber …«
»Wir holen Ihre Großmutter da raus, versprochen, okay? Aber jetzt gehen Sie mit Cally dort hinüber! Dort ist es sicherer für Sie.« Phin nahm die Blondine beim Arm und führte sie mit sanfter Gewalt auf die kleine Gruppe von Gästen und Personal zu, die sich in einigem Abstand angesammelt hatte. »Es kommt alles in Ordnung. Cally wird Sie begleiten und in Sicherheit bringen.«
Ein hübscher Rotschopf in der grünen Zeitlos -Uniform beeilte sich, Barbara in Empfang zu nehmen. Sie legte ihr einen Arm um die Schultern und sagte leise und in beruhigendem Ton: »Kommen Sie bitte mit. Alles wird gut.«
Naomi wusste nicht, ob das tatsächlich bedeutete, dass Hilfe nahte. Es spielte auch keine Rolle. Nur ein paar Minuten länger noch, und jeder, der in der Sauna eingesperrt war, würde geschmolzener Butter Konkurrenz machen.
Was zum Henker ging in diesem Wellness-Tempel nur vor sich?
»Geben Sie mir Ihr Jackett!«, verlangte Naomi von Phin, ihr Tonfall drängend.
»Wie? Was …«
»Geben Sie mir verflucht noch mal Ihr Jackett!«
Phin schlüpfte aus der maßgeschneiderten Anzugjacke. Naomi riss sie ihm aus der Hand, schüttelte sie aus und wickelte sie sich fest um den rechten Arm.
Das würde jetzt verdammt wehtun.
Mit einem Schulterstoß beförderte Naomi Phin Clarke beiseite und achtete nicht auf seinen überraschten Protest. Sie drückte den Rücken gegen die Tür und wandte das Gesicht ab. Schmerzen auszuhalten war das kleinste ihrer Probleme.
Mit Wucht stieß Naomi den durch den Stoff geschützten Ellenbogen in das Fenster. Die dicke isolierende Scheibe zersplitterte. Unter wildem Zischen schoss ein heißer Luftstrom aus der überhitzten Sauna, pfiff an Naomis Ohr vorbei. Die Druckwelle, mit der der mörderisch heiße Dampf sich den Weg aus seinem Gefängnis bahnte, setzte sich in Wellen aus Schmerz in Naomis Schulter fort.
Der einmalige Einsatz des Ellenbogens reichte nicht.
Immer noch zischte Dampf aus dem Loch, das Naomi ins Glas gestoßen hatte. Sie spürte ihn sengend heiß an der Wange. Davon unbeirrt hielt sie die Luft an, holte aus und ließ den Ellenbogen ein weiteres Mal gegen die Scheibe donnern. Risse zogen sich durch das Glas wie durch Eis, kurz bevor es bricht.
Noch ein Ellenbogencheck, und der Druck, den der heiße Dampf in der Saunakabine aufgebaut hatte, tat sein Übriges. In einem Schauer aus Splittern detonierte die Scheibe. Wie glitzernde Diamanten regneten winzige Scherben auf den erlesenen Schieferboden. Die Menge der Schaulustigen schrak zurück, kreischte.
Naomi ignorierte die Menschen um sich herum. Hustend wedelte sie mit der Hand, um die heiße Luft von ihrem Gesicht fernzuhalten. Der nächste Adrenalinstoß, der ihr Blut in Wallung brachte, ließ sie nach dem Rahmen des Fensters greifen.
Phin packte sie am Arm. »Naomi, Sie können doch nicht …!«
Ihr Blick traf ihn. Sie bemerkte den harten Zug um seinen Mund. Sie schüttelte den Kopf, ein einziges kurzes Mal, rollte die Schulter nach hinten. Mit einer Leichtigkeit, als hätte seine Hand nie auf ihrer Schulter gelegen, schüttelte sie ihn ab. Eine fließende Bewegung, und
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