Blutschuld
Wellness-Tempel versteckt. Haben wir.« Naomi hielt sich nicht lange mit Make-up auf. »Ein Hexer, der sich in einem Wellness-Tempel versteckt. Und wie wir den haben.« Mit der dickborstigen Bürste fuhr Naomi sich durchs Haar. Sie bürstete, bis ihr Schopf vor Gesundheit strotzend glänzte.
»Warum?«, fragte sie den beschlagenen Spiegel. »Was haben die beiden hier zu suchen?«
Carson war ein Missionar. Missionare jagten Hexen und Hexer. War es möglich, dass Carson dem geheimnisvollen Hexer auf der Spur war, der Naomi hier in ihrer Suite angegriffen hatte?
Nein. Das lieferte keine Erklärung für die Operation Kleines Schwarzes. Hinter wem auch immer Carson her war, ob nun hinter einem Hexer oder sonst irgendjemandem, der Dominikanerorden wollte ihn tot sehen.
Also warum hatte der Hexer mit dem buschigen Schnurrbart sie angegriffen? Um sie zu warnen? Um ihr Angst einzujagen? Sie zu überfallen, wäre dafür sicher eine gute Taktik – bei jemand anderem. Aber Naomi war nicht irgendjemand. Bei ihr funktionierte dieser Trick nicht.
Naomi kannte keine Angst.
Du bist ein härterer Brocken, als ich dachte. Des Hexers höchsteigene Worte. Dann war es also darum gegangen, sie zu testen. Was hatte der Kerl erwartet? Dass sie sich aufs Sofa legte und einfach so das Zeitliche segnete? Naomi rieb sich die Stirn. Sie schnitt eine Grimasse: Der dumpfe Schmerz in ihrem Hinterkopf war immer noch da. Sie hatte es demnach mit zwei Gegnern zu tun. Bis sie herausgefunden hätte, wer wer und was war und wer wo zu finden wäre, müsste sie auf der Hut sein. Verdammt auf der Hut. Sich immer schön den Rücken freihalten.
»Also, warum die alte Dame?«
Gute Frage. Nackt stand Naomi da und fuhr sich geistesabwesend über das Tattoo auf ihrem Unterleib. Schließlich sammelte sie alle Kleidungsstücke zusammen, die nicht aus Seide, Kaschmir oder einem anderem Material waren, das mehr wert war als sie selbst.
Sie hatte keinen blassen Schimmer, ob das sportliche Tank-Top und die hautengen Laufhosen, die sie bei ihrer Suche in die Finger bekam, in diesem Luxus-Wellness-Tempel als angemessene Bekleidung galten. Aber, verdammt noch mal, das war ein Spa. Modischen Schnickschnack brauchte sie hier doch sicher nicht.
Sie warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims thronte, und seufzte. Um sieben Uhr fünfzig war sie im Aufzug und starrte auf das Touch-Pad mit ihrem digitalen Wellness-Fahrplan, das in ihrer Suite für sie bereitgelegen hatte.
Das restliche Team würde sich schlapp lachen, bekämen sie das hier zu lesen. Wahrscheinlich hatten sich die lieben Kollegen bereits köstlich amüsiert, als sie diese sogenannten Behandlungen für Naomi gebucht hatten.
Was also lag heute für Naomi an?
Sie würde lauter Dinge für ihre Schönheit tun.
Lauter Dinge, bei denen sie sich hinter der Maske aus Kultiviertheit, die sie hier zu tragen verdammt war, die Seele aus dem Leib schreien würde.
Naomi kannte keine Angst. Wut dafür umso besser. Wütend sein konnte sie sogar besonders gut. »Ihr verfluchten Arschgei…!«
Die Fahrstuhltüren glitten auf, und ihr Empfangskomitee, ein kleine Frau mit einer umwerfend weiblichen Figur, wandte sich ihr zu. Gerade noch rechtzeitig klappte Naomi den Mund zu und brachte, statt zu fluchen, ein Lächeln zustande.
Der gebändigte Lockenschopf der Frau leuchtete im Sonnenlicht. Die Haarpracht hatte fast denselben Farbton wie Phins Locken. Der Blick aus schokoladenbraunen Augen war offen und freundlich. Gleich darauf wusste Naomi auch, von wem Phin neben Haarfarbe und Locken seine beiden so anziehenden Grübchen geerbt hatte: Als die Frau lächelte, umrahmte deren Zwillingspaar einen Mund mit vollen Lippen.
Dann war also ein Gutteil von Phins ach so gefährlichem Charme ererbt. Na, fantastisch!
Ein auf Figur geschnittenes Kostüm in Zartviolett betonte die schmale Wespentaille und damit genau die weiblichen Rundungen, die Naomi an anderen Frauen immer bewundert hatte. Das Haar der Frau war auf eine sehr natürlich wirkende Art zu einer locker-leichten Krone aus Locken hochgesteckt.
Naomis Gegenüber war bezaubernd, ganz holde Weiblichkeit: weiblich rund und weich, dabei ebenso elegant. Selbst die feinen Lachfältchen, die ihre Augen umgaben, wirkten in ihrer Natürlichkeit … tja, wie? Naomi wollte das rechte Wort dafür nicht einfallen. Sehr anziehend. Warm und herzlich.
Diese Frau strahlte etwas Bodenständiges aus, mehr Bodenständigkeit als all die künstliche Aufgesetztheit, die
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