Blutschuld
helfen zu wollen, dagegen, um schimmernde Seide zu trauern. Ihre eigene Haut und Phins Leben zu retten, verdammt noch mal, zählte, sonst nichts! »Phin, raus aus dem Licht!«
Endlich schlossen sich ihre blind tastenden Finger um den Griff der Waffe. Eine Beretta – nicht gerade ihre Lieblingsknarre. Und trotzdem: was für eine Erleichterung! Für den Bruchteil einer Sekunde gestattete sich Naomi, die Waffe in der Hand zu wiegen, ihr Gewicht zu spüren. Ihre Kälte, ihr Gewicht, ihre handfeste Zuverlässigkeit. Sie tastete nach dem Abzug.
Die Waffe wurde zu einer Verlängerung ihres Arms.
Eine schnelle Folge von Schüssen ließ das Glas zu ihren Füßen hochspritzen. Tänzelnd wie ein Boxer sprang sie zurück, brachte sich aus dem Lichtkegel. Dieses Mal gab es kein aufgeregtes Geschrei und Geschnatter, das den Knall der Schüsse überdeckt hätte. Gewehrschüsse krachten wie ferner Donner, dumpf, als würde der scharfe Laut von einem schallgedämmten Raum geschluckt. Dumpf, aber nicht unhörbar.
»Verflucht, Phin, mach endlich, dass du hier rüberkommst!«
»Aber …«
Sie hechtete durch den Lichtkegel, packte Phin am Kragen und riss ihn hoch auf die Füße. Der Schwung ließ ihn gegen sie taumeln. Von der Gegenbewegung wäre er rücklings wieder in den Lichtkegel befördert worden. Einer der Bleistiftabsätze brach, als Naomi Phins Gewicht abfing, um das zu verhindern.
Phin war schockiert, sein Gesichtsausdruck grimmig. Sein Blick war glasig, als er seine blutigen Finger zornig in Naomis Arm krallte. »Was ist hier los?«
Ein paar Sekundenbruchteile reichten dafür, Phin ins Gesicht zu blicken, ihm einen Stoß zu versetzen, der heftig genug war, um sich aus seinem wütenden Griff zu befreien, sich mit ihm wie in einem bizarren Ballett um die eigene Achse zu drehen. »Das ist … Scheiße! « Die Kugel, die Naomi traf, riss die Jägerin herum. Das Geschoss schrappte über ihre Schulter, zog eine tiefe Furche die Schulter entlang bis zum Hals, am Hals entlang. Verdammt nah an der Halsschlagader. Verdammt zu nah an Naomis Kehle.
Einen Lidschlag zuvor war Phin noch dort gewesen, genau dort, wo die Kugel ihre Bahn genommen hatte. Bevor Naomi ihm den Stoß versetzt hatte, aus dem Schussfeld heraus.
Naomi fing sich an der Wand hinter ihr, stieß sich ab, währendSchmerz ihr Blickfeld in blutrote und goldene Sternchen zerfetzte. »Lauf!«, spie sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Beweg dich! Sie musste nur in Bewegung bleiben, immer weiter, bis Phin und sie in Sicherheit wären.
Keine Zeit für blutende Wunden.
Sie biss die Zähne noch fester zusammen und zerrte Phin vom Gehweg hinunter in die Dunkelheit der Stichstraße, auf deren Einmündung in die Hauptstraße zu. Sie trieb ihn vor sich her, auf die Blitzlichter zu und die Traube aus Reportern und ankommenden Gästen vor dem Haupteingang des Swann’s. Sie ließ ihm keine Zeit, irgendwelche Fragen zu stellen.
Sie war sich sicher, Schock und Angst hatten ihn ebenso im Griff wie sie. Nur das Adrenalin hielt sie aufrecht. Naomi ließ Phin nicht los, stieß ihn, die Faust in sein Jackett hineingekrallt, immer weiter vor sich her. Die Straße hinauf.
Erste Priorität.
Mit voller Absicht blieb sie zwischen Phin und dem Scharfschützen, deckte Phins Rücken mit ihrem Körper. Der Kerl war nicht sonderlich gut im Zielen. Oder, dachte sie, und Schmerz brannte in der pochenden Wunde bis hinunter in ihre Schusshand, oder der Kerl ist gerade gut genug.
Funken stoben von der Wand hinter ihnen, noch mehr Splitterhagel folgte. Naomi wusste nicht, ob die scharfen Geschosse sie trafen. Sie spürte nichts außer dem Adrenalin, das in ihren Adern kochte, und dem Brennen in der Scharte zerfetzten Fleisches, die ihr die hinterhältige Ratte mit einer seiner Kugeln bereits verpasst hatte. Adrenalin und Schmerz gaben ihr die Kraft, Phin um die Hausecke am Ende der Seitenstraße zu schieben. Sie drängte ihn hinein in das Gewusel aus Menschen, das hohe Gitter und ein Kordon aus uniformierten Sicherheitskräften vom Eingang des Swann’s abschotteten.
Abrupt blieb Phin stehen, ließ Naomi auflaufen. Ehe sie ihn anbrüllen konnte, war er zu ihr herumgewirbelt und hatte ihrim selben Moment schon die Waffe entwunden. Er steckte sich die Beretta hinten in den Hosenbund, wo das Jackett sie verbarg. Dann packte er Naomi, seine Hände um ihre Oberarme wie Schraubzwingen. »Bleib ganz nah bei mir!«, verlangte er kategorisch. Er zog sie an die Brust, als die Ersten
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