Blutschuld
dass sie alles andere als aus dem Schneider war. Ein klein wenig veränderte sie ihre Sitzposition und musste unter Würgen einen Schmerzenslaut zurückhalten. Schmerz, gallebittere Wut, alles wollte heraus aus ihrer Kehle und sollte es nicht. »Handtuch«, brachte sie mühsam heraus. Phin schnappte sich eines aus der kleinen Bar, in der sich der Champagner befand. Naomi wollte es ihm aus der Hand nehmen. Aber er wischte ihre Hand beiseite, rutschte vom Sitz und kniete sich vor sie. Zwischen ihre Beine. Schon wieder.
Wie eine Welle an Fels brach sich das Lachen, das Naomi gern gelacht hätte, an den zusammengebissenen Zähnen.
Sanft, aber viel zu entschieden, um sich ihm zu verweigern, berührten seine Fingerspitzen ihr Gesicht, ihr Kinn, sorgten mit sanftem Druck dafür, dass Naomi den Kopf zur Seite neigte. Vor Schmerz sah sie Sterne. Dass Phin beim Anblick der Wunde nach Luft schnappte, als er den Kragen des Jacketts zurückzog, sagteihr, dass die Verletzung exakt so schlimm war, wie sie vermutet hatte.
»Bleib bei mir!«, hörte sie Phins Stimme. Es klang dringend. Naomi nickte, nur die Andeutung einer Kopfbewegung, nicht mehr. Phin presste das Handtuch auf das zerfetzte, blutende Fleisch der Schusswunde. Schmerz, heiß und unerträglich, riss Naomi ins Vergessen. Sie spürte nichts mehr. Um sie herum wurde es schwarz.
KAPITEL 13
Lillian wartete bereits im Parkdeck. Phin stieß die Wagentür auf, noch bevor die schwere Limousine mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. »Wo ist Mutter?«, verlangte er zu wissen.
Martin, weiß im Gesicht, aber die Ruhe in Person, beeilte sich, den Kühler zu umrunden und die Tür ins Gebäude aufzureißen.
»In der Klinik, sie bereitet alles vor«, antwortete Lillian ruhig. »Wie schwer ist sie verletzt?«
»Ich weiß es nicht.« Phin wollte nicht darüber nachdenken müssen. Er wollte die Unmengen Blut nicht sehen, die sein Jackett durchtränkten, das Handtuch. Er wollte auch nicht Naomis Zerbrechlichkeit spüren. Sie war so kalt, so zart, zartestes Glas, kurz vor dem Zerspringen. Er trug sie auf seinen Armen, hielt sie an die Brust gedrückt. Lillian hielt Naomis Kopf, während Phin sich und sie aus dem Auto bugsierte, übte den nötigen Druck auf das Handtuch auf ihrer Halswunde aus.
»Langsam, Liebling«, gab Lillian ihrem Sohn Anweisung. »Pass auf, dass sie nicht zu viel bewegt wird. Danke, Martin.«
»Ma’am«, erwiderte der Mann in feierlichem Ernst.
Phin hatte nicht einmal einen Blick für ihn. Seine ganze Aufmerksamkeit galt allein Naomis bleichen Lippen, fast weiß schon in den Mundwinkeln, die Kiefermuskeln schlaff, der Mund halb geöffnet. Das verschmierte Blut auf ihrer Wange. Wie flach, Herr im Himmel, ihr Atem ging!
Naomi musste wieder in Ordnung kommen.
»Beeil dich«, verlangte Lillian, die neben ihm herlief und sich verbiegen musste, um das Handtuch auch weiterhin auf die Wunde pressen zu können. »Gemma hält ein Bett für sie bereit.«
In seiner Sorge drückte Phin Naomi fester an sich. Die Bewegung – das Zucken seiner Muskeln und die daraus resultierende kleine Lageveränderung – ließ Naomi aufstöhnen; ihr Kopf fiel gegen Phins Brust. Sofort stützte Lillian mit der freien Hand den Kopf. »Sie kommt wieder in Ordnung«, versicherte sie Phin. »Phin, mein Schatz, hörst du mich? Sie kommt wieder in Ordnung. Es gibt nichts, was deine Mutter nicht zu tun in der Lage ist, verstanden?«
Dass Herz, das schmerzhaft schnell in seiner Brust schlug, wollte wütend streiten. Er wollte es, wollte die zerbrechliche, blasse, ach Gott, so wunderschöne, mutige, ja, verwegene Frau in seinen Arm schütteln und verlangen, alles zu erfahren.
Zu erfahren, warum sie so und nicht anders gehandelt hatte.
Wer sie war.
Warum sie ihn beschützt hatte.
Phins Mund war staubtrocken; es schnürte ihm die Kehle zu. Er ließ Lillian den Fahrstuhl rufen und hielt Naomis warmen Körper reglos in seinen Armen, während der Fahrstuhl hinauf in das Stockwerk mit der voll ausgerüsteten Klinik glitt.
Wer zum Teufel war die Frau, die er auf seinen Armen trug? Und, zur Hölle damit, warum wusste er das nicht längst?
Phin schluckte den Kloß in seiner Kehle, Wut und Ärger, hinunter. Er hob den Blick, als sich die Fahrstuhltüren öffneten, und sah direkt in Gemmas warme, braune Augen, die besorgt wirkten. Sehr besorgt.
Phin konnte es nicht verhindern: Er verlor die Fassung.
Seine Schultern sackten herunter, seine Arme, seine Hände, die Naomi hielten, um ihre
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