Blutschwestern
zu beherrschen.
»Xiria«, wiederholte er, und sie rutschte beim Klang ihres Namens etwas näher an ihn heran. Dann tasteten ihre Hände sein
Gesicht ab, befühlten sein Haar und schließlich seine Brust. Degan biss die Zähne zusammen. Jede einzelne ihrer Berührungen
versetzte ihn in Aufruhr, viel mehr, als es Lins Berührungen oder die einer anderen Frau jemals vermocht hätten. Degan schloss
die Augen. Die Greifin löste etwas tief in seinem Innern aus, etwas, was er bis dahin nicht gekannt hatte; ein stürmisches
Begehren, gegen das |291| jegliches Verlangen, das er je für eine Frau empfunden hatte, nur ein lauer Wind gewesen war. Er meinte vor Lust zu verbrennen.
Sala, hilf mir!
flehte er die Göttin an. Zwischen seinen Lenden gierte sein Glied nach dieser Frau, wie es noch niemals nach einer Frau verlangt
hatte.
Degan öffnete die Augen und sah ihr Gesicht dicht vor seinem. Irritiert stellte er fest, dass ihre blauen Augen irgendwie
leer waren, jedoch auch vertraut.
Das ist doch vollkommen egal!
schrie sein Verstand.
Schließlich ließ er alle Beherrschung fallen und zog sie an sich. Ehe sie etwas dagegen hätte tun können, presste er seine
Lippen auf ihre, und sie öffnete ihren Mund. Seine Zunge suchte sich ihren Weg zwischen ihre Zähne, er wollte sie bereits
auf das Strohlager drängen, als etwas ihn mit Wucht zu erschüttern schien, seinen Körper durchfuhr, ihn durchrüttelte, als
hätte er einen ganzen Sandsturm verschluckt.
Dann, mit einem Male, meinte er zu ersticken. Etwas in ihm geriet in Bewegung. Degan spürte, wie die gesamte Luft aus seinen
Lungen entwich. Ein Sog packte ihn und raubte ihm den Atem. Angestrengt und in heller Panik versuchte er, sich von der Greifin
loszureißen, doch es gelang ihm nicht. Wie zusammengeschmiedet hockten sie dort, in ihren alles verschlingenden Kuss vertieft.
Als Degan meinte die Besinnung zu verlieren, gelang es ihm endlich, sie von sich zu stoßen. Er fiel nach hinten und blieb
nach Luft ringend auf dem Boden liegen. Von Panik erfasst, rang er nach Atem. Auch sie musste bemerkt haben, was zwischen
ihnen geschehen war, denn er hörte sie husten und keuchen, als würde sie ersticken. Degan wollte sich aufrichten, doch seine
Lungen brannten fürchterlich. Er schaffte es gerade noch, den Kopf anzuheben und sie anzustarren.
»Xiria«, war alles, was er hervorpressen konnte, und als er ihre Augen sah, fragte er sich, wie er sie für leer hatte halten
können. Nun spiegelte sich eine Mischung von unterschiedlichen Gefühlen |292| darin. Degan erkannte Angst und Verwirrung, Fragen und Chaos. Sie hielt sich die brennende Kehle, und Degan wollte zu ihr
kriechen, um sie zu beruhigen, doch dann wurde er von einem neuen Sog erfasst, gegen den er sich nicht wehren konnte und der
ihn in einen tiefen schwarzen Schlund zu zerren schien. Ehe er auf die Beine kam, verlor er das Bewusstsein und brach auf
dem harten sandigen Boden der Hütte zusammen.
|293| Xirias Erwachen
Degan wachte auf dem Boden der Hütte auf und spürte noch immer ein leichtes Brennen in seinem Hals. Er hustete, dann gelang
es ihm, auf die Beine zu kommen. Zwar wankte er und musste sich an der Wand abstützen, doch er stand. Die Erinnerung blitzte
vor ihm auf, als er die Puppe vor seinen Füßen sah. »Xiria«, sagte er laut, doch der Strohhaufen war verlassen, die Tür der
Hütte stand weit offen. Noch immer benommen bückte sich Degan nach der Puppe und betrachtete sie. Sie war zerschlissen und
sicherlich mehrere Sommer alt, doch sie trug die gleichen Gewänder wie die Priesterinnen Salas. Degan schüttelte den Kopf
und ließ die Puppe fallen. Dann wankte er langsam auf den Hof. Suchend blickte er in den mittlerweile dunklen Nachthimmel.
Von weit her drangen noch immer die Melodien von Flöten und Rasseln an sein Ohr, das Lachen und ausgelassene Feiern der Engilianer.
Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wo war sie geblieben? Er schalt sich einen Narren, als er in den Himmel starrte. Sie
besaß Schwingen, sie konnte sich einfach in die Lüfte erheben und davonfliegen.
»Xiria!«, rief er laut, denn etwas in ihm sagte ihm, dass er nicht wollte, dass sie fort war, dass er sie brauchte, dass er
sie begehrte und dass sie ihm ähnlich war! Doch das war Unsinn! Sie war eine Greifin, er war ein Mensch. Dieser seltsame Kuss
zwischen ihnen, der ihm den Atem geraubt hatte, ließ seinen Verstand schwindeln; und doch hatte sie es auch gespürt. Er
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