Blutschwestern
Sippe wollte das Gegenteil.
Sie sollte bleiben … Dieses Gefühl tat ihr gut.
Injamon betrachtete sie ebenso eingehend und kühl, wie die anderen sie betrachtet hatten. Auch sein Haar war silbern, seine
Gestalt geschmeidig und sein Gesicht von klarem Ausdruck. Das Einzige, was ihn von den anderen unterschied, waren die silbernen
Beinschienen und die breiten Handgelenk- und Oberarmreifen. Er betrachtete Xiria, wie sie das Fleisch des Hasen von den Knochen
nagte. Fleisch – ein neues wunderbares Erlebnis. Es war weich, es gab Kraft, und der metallene Geschmack des Blutes auf der
Zunge prickelte. Injamon hatte die anderen einfach fortgeschickt, und sie hatten sich in die Felsvorsprünge und Felsenhöhlen
zurückgezogen. Injamon wollte Xiria augenscheinlich für sich allein. Er ließ sie essen und trinken, betrachtete ihren weiblichen
Körper und befühlte immer wieder ihre Brüste, während sie aß.
»Woher kommt Xiria?«, fragte er, während sie den letzten abgenagten Knochen zur Seite legte.
»Xiria hat in Engil gelebt, die Menschen haben sie dort eingesperrt, doch Xiria ist geflohen.«
»Noch nie gab es eine Greifenfrau. Mador muss es erfahren.«
Xiria nickte. Sie war wenig interessiert an seinen Worten, nachdem sie gesättigt war. Ein anderer Trieb regte sich bereits
in ihr. Ihr Urwissen verlangte von ihr, dass sie für Nachkommen sorgte, ihre Leidenschaft forderte körperliche Nähe. »Xiria
und Injamon können sich jetzt lieben«, erklärte sie, und als er sie verständnislos anblickte, |343| griff sie mit einer Hand an seinen Schurz und zog ihn herunter. »Liebe!«, sagte sie mit fester Stimme, und Injamon verstand.
Eine tiefe Begierde trat in seine Augen, als er Xiria an sich zog. Mit festem Griff umfasste er ihre Taille und trug sie hinauf
in die Luft. Wie von selbst schlangen Xirias Beine sich um ihn, dann spürte sie aufgeregt, wie er in sie drang.
Xiria dachte an Degans Küsse, an seine begehrlichen Hände auf ihren Brüsten und wartete darauf, dass Injamon ihr Begehren
weckte. Doch Injamon machte weder Anstalten, sie zu küssen, noch sie mehr als nötig zu berühren, während er sich in ihr bewegte.
Schließlich legte Xiria ihre Hände an sein Gesicht und küsste ihn. Sie hatte erwartet, das gleiche Kribbeln und Brennen zu
spüren, das durch ihren Körper ging, als Degan sie geküsst hatte, aber es geschah nichts. Injamon ließ sich ihre Küsse zwar
gefallen, doch er erwiderte sie nicht; er begehrte sie nicht … er fühlte sie gar nicht!
Enttäuscht unterließ sie die Versuche, Injamon zu entflammen. Erst als er sie mit einem letzten heftigen Stoß seines Beckens
umklammert und sie anschließend zurück zum Felsplateau gebracht hatte, betrachtete sie ihn eingehend. Injamon langte zu einem
Stück Fleisch und kaute offenbar zufrieden darauf herum.
»Was hat Injamon gefühlt, als er mit Xiria zusammen war?«
Der Greif ließ von seinem Fleisch ab und legte den Kopf zur Seite. »Was meint Xiria damit?«
Sie versuchte es ihm zu erklären. »Wenn Xiria isst, dann prickelt es auf ihrer Zunge, und ihr Bauch fühlt sich warm an. Wenn
sie etwas Schönes sieht, dann geht ihr Herz schneller, und wenn Xiria liebt, dann wird ihr Körper warm, und ihre Haut brennt.«
Injamon zog die silbernen Brauen zusammen und zuckte mit den Schultern. »Xiria ist schön, sie ist eine Greifin, Injamons Körper
sagt, dass es gut war.«
Verwirrt dachte sie über seine Worte nach. Konnte es denn sein, dass er nichts von all den wundervollen Gefühlen wusste, die
von süßen Beeren, Berührungen und Küssen ausgelöst wurden? Wusste |344| er nichts von Liebe, von Begehren, von Hass? Dann dachte sie über ihr Leben nach, bevor Degan sie geküsst hatte. Hatte sie
etwas davon gewusst? Hatte sie jemals über Gefühle nachgedacht oder sie vermisst? Endlich begann sie zu begreifen, was es
war, das Degan mit ihr getan hatte. Er hatte ihr diese Gefühle, all diese wunderbaren und schmerzlichen Dinge geschenkt. Sie
beobachtete Injamon mit unverhohlener Enttäuschung, wie er so leidenschaftslos auf seinem Fleisch kaute. Er wusste nichts
von Gefühlen, ebenso wenig wie die anderen. Sie hatten sich um sie gestritten, doch ihr Begehren war kaum mehr als ein Trieb,
dem sie folgten. Sie hatten keinen Zorn oder Hass gegeneinander empfunden, als Xiria sie aufgefordert hatte, voneinander abzulassen.
Xiria verstand mit einem Male, dass sie auch hier – unter ihrer eigenen Sippe – nicht
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