Blutschwestern
finden würde, wonach sie so sehnlichst
suchte. Dawon hatte es besessen und Degan auch. Sie dachte mit aufkommender Verzweiflung an Degan, und nach der Mondumrundung,
in der sie für sich allein versucht hatte zu lernen und zu verstehen, begann sich ihr Begehren nun wieder verstärkt auf ihn
zu richten. Sie wollte ihn besitzen, und sie verstand im gleichen Augenblick, dass sie, die Gefühle wie Zorn, Hass und Liebe
empfinden konnte, ihrer Sippe überlegen war.
»Wer ist Mador?«, fragte sie nun ehrlich interessiert.
»Mador ist der Krieger des Muruk in Dungun. Injamon wird Xiria zu ihm bringen … bald«, entgegnete der Greif, ohne etwas von
Xirias Gedanken zu ahnen.
Xiria nickte zufrieden und hockte sich schließlich auf einen Stein. Sie steckte ihren Kopf unter ihre Schwinge und schloss
die Augen. Sie war furchtbar müde.
Der Blick in die durchscheinenden Augen des Wesens, das sich mit hell klingender und unwirklicher Stimme als seine Mutter
bezeichnete, erschreckte Degan ebenso, wie er ihn zornig machte. Sie hieß Nona und war einst ein Mensch gewesen, doch nach
seiner Geburt hatte sie sich dazu entschieden, eine Lalu-Frau zu werden, um mit |345| seinem Vater, einem einfältigen Greifen mit dem Gemüt eines Kindes, zu leben. Freundlicherweise hatte sie ihm zudem nicht
nur das Licht Salas, sondern auch das böse Gift Muruks eingehaucht, indem sie einige Greife befreit hatte. Degan hatte der
Geschichte Nonas zuerst ungläubig, dann wütend gelauscht. Als Friedensbringer und Unterpfand war er gezeugt und geboren worden.
Seine Mutter hatte ihn nach der Geburt nicht schnell genug loswerden können, und Ilana und Tojar hatten ihn im Unwissen gelassen
über sein Schicksal und seine Herkunft. Was bedeutete er all diesen Menschen, welche ihn zu lieben behaupteten, überhaupt?
Er war ebenso missbraucht worden wie Xiria, nur dass man es bei ihm geschickter angestellt hatte. Und jetzt, nachdem sie ihm
all dies angetan hatte, kam Nona zu ihm und verlangte, dass er sein Schicksal erfüllte und den Menschen half. Er sollte Xiria
finden und töten … töten! Das einzige Wesen, das ihn tief in seinem Herzen berührt hatte … sie verlangten tatsächlich von
ihm, dass er es vernichtete.
Nona streckte ihre Hand nach ihm aus, ihre Worte drangen wie von weit her an ihn heran, erreichten Degans Herz jedoch kaum
noch.
Mein Sohn … es ging nicht anders … es war Salas Wille.
»Heuchler! Ihr seid alle miteinander Heuchler!«, fuhr er Nona an, die neben Ilana und Lin stand. Wie eine Gesandtschaft waren
sie in seinen Räumen erschienen, um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Einzig auf Lins Gesicht zeichnete sich so etwas
wie Mitleid ab. Doch er wollte dieses Mitleid nicht. Sein ganzes Leben war er bemüht gewesen, sie alle glücklich zu machen,
sein wahres Wesen zu unterdrücken und zu verbergen … und wofür?
»Ich werde dir helfen, Degan«, bot sich Lin an, doch er wehrte sie mit einer einzigen Handbewegung ab.
»Ich will alleine sein«, fuhr Degan sie an, während er seine Wut unter äußerster Beherrschung zurückhielt.
Lin wollte zu ihm gehen, Nona aber hielt sie zurück.
»Du bist nicht allein, mein Sohn, auch wenn es sich so anfühlt.«
»Kein Wort mehr!« Er wies zur schweren Holztür, die aus seinen |346| Gemächern führte. Sie drangen nicht weiter in ihn. Stattdessen verließen sie endlich mit leisen Schritten seine Räume. Erst
als sie fort waren, tat Degan einen langen Atemzug. Er wartete, bis seine Wut auf ein erträgliches Maß abgeklungen war, und
begann dann auf und ab zu laufen.
Xiria! Xiria, wo bist du? Ich muss dich finden, ich muss dich warnen. Ich will mit dir zusammen sein
, quälten ihn seine Gedanken unaufhörlich.
Schließlich fasste er einen Entschluss. Hastig suchte er einen Beutel, in den er die Reste seiner Abendmahlzeit warf, zwei
Beinkleider, Hemden und ein paar Stiefel. Er hätte eine Dienerin nach einem zweiten Mahl schicken können, doch das wäre zu
auffällig gewesen. Sicherlich beobachteten sie ihn und würden ihn nicht gehen lassen. Nach ihrem Verständnis gehörte Degan
ihnen, war ein Unterpfand und Garant für Salas Rückkehr. Aber damit war es nun vorbei … sollten sie tun, was sie wollten.
Sie hatten kein Recht, noch irgendetwas von ihm zu verlangen!
Degan warf einen Blick aus der Fensteröffnung und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis im Haus Ruhe einkehrte
und alle schliefen.
Er brauchte nicht lange
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