Blutschwestern
entgegenbrachte.
»Lin, es tut mir furchtbar leid. Wir wissen alle, dass Degan mehr für dich bedeutete als der König, der er an deiner Seite
hätte sein sollen. Du hast dir einen Gefährten erhofft. Doch schon bei Salas Fest habe ich daran gezweifelt, dass er dein
Herz glücklich machen |352| kann.« Braam mischte sich mit salbvollen Worten in das Gespräch ein. Seine Stimme war mitfühlend, seine Augen heuchelten Wärme.
Doch Lin wusste, dass sie das, was er sagen würde, nicht hören wollte. »Lin, ich weiß, dass ich nicht die Gefühle von dir
erwarten kann, welche du Degan entgegengebracht hast … noch nicht … aber ich werde dich nicht drängen.«
Lin zuckte zusammen. Ihr Kopf fuhr zu Tojar herum, der erneut ihrem Blick auswich. »Vater?«, fragte sie aufgebracht.
»Lin, versteh doch …«, versuchte er ihr zu antworten, doch sie schüttelte heftig den Kopf.
»Wie kannst du nur, Vater? Degan ist seit heute Morgen verschwunden. Vielleicht kehrt er bald zurück. Du weißt, wie er ist.«
»Ja«, bekannte Tojar und bemühte sich um Strenge in seiner Stimme. »Ich weiß, wie er ist, und dieses Mal kann ich es nicht
ignorieren.« Seine Augen wurden wieder weich. »Lin, ich glaube nicht, dass er derjenige ist, der auf Engils Thron sitzen soll.
Er ist zu wild, zu unberechenbar … Ich habe alles versucht, sein Herz zu zähmen, doch es ist unmöglich. Engil braucht einen
starken König … und du, Lin, brauchst einen Gefährten.«
Lin starrte auf die Tischplatte, während Braam erneut versuchte, sie mit sanften Worten zu gewinnen. Seine Stimme verschwamm
in ihrem Geist. Erst als er seine Hand auf ihre legen wollte, sprang sie auf und trat einen Schritt zurück. »Ich weigere mich,
Vater! Ich werde Degan nicht aufgeben.«
Plötzlich kam Leben in die Raubtieraugen von Braams Vater. »Hier fragt niemand nach deiner Meinung, Prinzessin Lin. Dein Vater
und ich haben uns bereits geeinigt. Mein Sohn muss sich ebenso beugen wie du. Es ist beschlossene Sache. In einem Mondumlauf
werdet ihr einander verbunden. Engil wird um Degan trauern, einen Mond lang, wie es einem Prinzen gebührt. Danach bist du
frei von deinem Versprechen ihm gegenüber.«
Lin spürte, dass eine nie gekannte Wut und Kraft in ihr aufwallte. Wie von selbst formten ihre Lippen die Worte, die sie Braam,
seinem |353| Vater, aber auch Tojar entgegen spie.
» Ich
bin es, die über Engil herrschen wird, ebenso wie Ilana es tut. Wenn
ich
es nicht will, wird niemand auf dem Thron Engils neben mir sitzen! Wenn ihr mich zwingt, werde ich Sala anrufen, einen Fluch
über euch zu verhängen.«
Endlich ließ Braam die Maske seiner Liebenswürdigkeit fallen. Seine Augen begannen zu glänzen. »Ach was, Lin! Soweit ich weiß,
spricht Sala nicht einmal mit dir. Wie sollte sie dann irgendjemanden in deinem Namen verfluchen.« Er erhob sich bedächtig,
um zu zeigen, wie sicher er sich fühlte. Sich von einer Frau demütigen zu lassen ging einfach zu weit. »Du bist nicht stark
genug, um Engil alleine zu beherrschen, Lin. Das weißt du. Aber ich … ich bin stark!«
Lin achtete nicht auf seine Worte, stattdessen wandte sie sich Tojar zu, der sich mit versteinerter Miene auf seinem Stuhl
zurückgelehnt hatte. »Was ist nur los mit dir, Vater? Hat die Speichelleckerei schließlich doch Früchte getragen? Willst du
Engil wirklich diesen beiden da überlassen? Das kann doch nicht dein Wunsch sein!«
»Lin, du vergisst dich!«, rief Tojar aus, dem der überschäumende Zorn seiner Tochter neu war.
Lin wandte ihnen allen den Rücken zu und rannte aus der Halle. Wo war ihre Mutter, wo war Nona? Warum hatten sie nichts dagegen
unternommen? Es war nicht Salas Wunsch, es konnte nicht Salas Wunsch sein. Lin hatte geschwiegen, sie hatte immer alles hingenommen,
selbst Degans Ablehnung. Doch nun waren sie zu weit gegangen. Sie war keine Puppe, die sie in schöne Gewänder stecken und
mit der sie spielen konnten, wie es ihnen beliebte. Sie war Lin, Tochter von Ilana, der Königin von Engil, die Hohepriesterin
Salas … und sie war nicht schwach!
Injamon ließ von Xiria ab, band sich den Schurz aus Leder um seine Hüften und wandte sich den anderen zu, die näher getreten
waren und ihrerseits begehrlich auf die Greifin starrten. »Ihr sollt das Silber aus dem Gebirge bringen, das ihr gestern aus
den Minen getragen |354| habt. Ich bin der Anführer. Xiria gehört Injamon, und er allein zeugt mit ihr«, stellte er fest.
Die
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