Blutschwur: Die Rachel-Morgan-Serie 11 - Roman (German Edition)
Nick Ivy sagte, sie solle sich verpissen. Entweder sie brachte ihn um, oder sie tat es nicht. Um ehrlich zu sein interessierte mich Nicks Überleben weniger als die Frage, was ich morgen anziehen sollte. »Wie geht es dir, Jenks?«, fragte ich, während ich in mein Zimmer ging. Ich war mir nicht sicher, ob ich in meinem Schrank etwas finden würde.
Mit klappernden Flügeln landete Jenks auf meiner Kommode. Sein Blick war auf die Wand gerichtet, als könnte er durch sie hindurch seinen Sohn sehen. »Einfach super«, grummelte er.
Ich konnte hören, wie die Gargoyles im Garten wie Elefanten brummten, als ich die Tür schloss. Mitleid überschwemmte mich. Ivy war genervt – aber das war Ivy oft. Ich war wütend – und auch das war verständlich. Jenks dagegen empfand elterliche Schuldgefühle gepaart mit einem starken Schutztrieb, und er litt von uns allen am meisten. »Das mit Jax tut mir leid«, sagte ich, als ich die Schranktür öffnete und alles auf der Stange zur Seite schob. Vielleicht fand ich ganz hinten noch etwas, was ich bisher übersehen hatte. Aber da lag nur die Kleidung, die meine Mom nicht hatte mitnehmen wollen und die zu hochwertig war, um sie wegzuwerfen.
Jenks’ Wut verpuffte. Er setzte sich mit hängenden Flügeln auf eine meiner Parfümflaschen. »Ich hatte nicht geglaubt, dass ich Jax noch einmal gegenübertreten muss«, sagte er leise, und mir brach fast das Herz.
»Ich nehme an, etwas Ähnliches denkt er auch.« Jenks suchte meinen Blick. Ich holte einen dünnen Schal heraus, zog ihn durch die Luft und ließ ihn auf mein Bett flattern. Ich fand, er könnte eine gute Schärpe abgeben. Vielleicht sollte ich mit den Stiefeln anfangen und mich dann nach oben arbeiten.
»Ich will ihn einfach nur … schlagen«, meinte Jenks mit einer hilflosen Handbewegung. »Er versteht nicht, wie kurz das Leben ist. Er könnte so viel erreichen, wenn er …«
»Die dunkle Seite hinter sich lassen würde?«, fragte ich, um die Stimmung zu heben. Jenks schwieg, aber seine Flügel nahmen langsam wieder eine normale Farbe an. Nicht das weiße Lederkleid. Nicht die schwarze Lederhose. Meine Finger glitten widerwillig über meine üblichen Lederklamotten. In ihnen wäre ich dieselbe Person wie früher – aber morgen musste ich jemand anderes sein. Ich fühlte mich anders. Und meine Kleidung sollte das ausdrücken. Ich wollte etwas, was von Macht sprach. Aber jedes Kleidungsstück in meinem Schrank sprach von Macht und Sex. Vielleicht lag Newt mit ihrem Karateoutfit und ihren androgynen Haarschnitten ja gar nicht so falsch. Ich würde mir nicht den Kopf rasieren, aber eine etwas männlichere Kleidung könnte die Dämonen vielleicht dazu zwingen, mich als etwas anderes zu sehen als zwei X-Chromosomen auf Beinen.
»Warum bittest du ihn nicht, zurück in die Kirche zu kommen?«, fragte ich, während ich einen beigen Leinenanzug meiner Mom aus den Siebzigerjahren betrachtete. Die gesamte Dekade war ein einziger Modewahnsinn nach dem Wandel gewesen. Die Kombination bestand aus einer Weste, einem Jackett und Schlaghosen. Aber das Ensemble war gleichzeitig figurbetont und fließend, und die Weste umschmeichelte meine Kurven, ohne aufreizend zu sein. Ich zog den Anzug ans Licht. »Für immer.«
»Was?«
Ich legte den Anzug aufs Bett und kickte meine Stiefel von den Füßen, um ihn anzuprobieren. »Frag Jax, ob er zurückkommen will, wenn er wirklich mit Nick fertig ist. Vielleicht hat er einfach nur Angst, dass du ihn nicht liebst.«
»Nicht liebst …« Jenks starrte mich mit weit aufgerissenen Augen und hängendem Kiefer an.
Plötzlich hörte ich einen leisen Knall und spürte eine Luftdruckveränderung, die gleichzeitig vertraut und überraschend war. Ich erstarrte und wechselte einen Blick mit Jenks. Al?, fragte ich mich, dann schoss Adrenalin in meine Adern, als ich hörte, wie eine Stimme etwas schrie. Auf Lateinisch. Newt?
Oh Gott, sie kommen mich holen.
24
Ich stürzte aus dem Zimmer und wäre fast über Rex gestolpert. Die Katze schoss Richtung Altarraum, ein karamellfarbener Streifen mit einer Wolke aus schwarzem Pixiestaub darüber. Anscheinend folgte eines von Jenks’ Kindern der Katze. Ivy schrie auf, und ich rannte los. Jenks sauste als leuchtender Punkt vor mir her. Ich klammerte mich am Türrahmen fest und schlidderte in die Küche. Der Gestank nach verbranntem Bernstein war so allumfassend, dass ich mir fast einbildete, ihn sehen zu können.
»Newt, nein!«, schrie ich. Die Dämonin sah mich
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