Blutseele
auf seiner Hüfte, während seine Mutter sich ein Stück entfernte und unter den Bäumen ein Gespräch mit ihrem Ex begann. Meine Anspannung verwandelte sich in Einsatzbereitschaft, und ich fing an wahrzunehmen, was sich jenseits unserer kleinen Welt tat. Der Park war bis auf die zwei alten Leute auf der Bank leer. Der Wind war immer noch frisch und die Sonne genauso strahlend, aber die Angst dieses kleinen Jungen war genug, um noch die mutigste Seele zu erschüttern.
Die Vampire aus dem Van waren zurückgefallen, und ich beobachtete sie genau, um sicherzustellen, dass keiner unter die Brücke huschte, um uns zu überrumpeln. Dass sie das tun könnten, war wahrscheinlich der Grund dafür, dass Sean dieser … Verhandlung zugestimmt hatte.
»Wie hältst du dich, Sportsfreund?«, fragte Kisten und setzte Audric auf der breiten Betonbrüstung ab.
Der Junge blinzelte mehrmals und holte dann tief Luft. Er entspannte sich sofort, als er bewusst die Pheromone in seine Lunge sog, die Kisten abgab. »Ich habe Angst«, gab er zu, als er reden konnte.
»Das ist okay.« Kisten legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das ist auch wirklich beängstigend hier. Aber deine Mom ist klug. Sie kümmert sich gut um dich, richtig?«
Er nickte.
»Gut.« Kisten schaute zu seiner Schwester, die wild mit Sean diskutierte. »Sie liebt dich sehr. Vergiss das nie. Egal, was passiert.«
Das klang wie ein letzter Ratschlag, und das machte mir Sorgen. Es gab eine gute Chance, dass die I. S. nicht auftauchen würde, besonders, falls Piscary selbst die Entführung eingefädelt hatte, entweder um Chrissie unter Kontrolle zu bekommen, oder um Verbindungen mit Vampiren außerhalb seiner Camarilla zu festigen. In diesem Fall waren wir wirklich auf uns allein gestellt.
Audric kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und schaute erst zu mir, dann zu Kisten. »Werden du und Miss Rachel heiraten?«, fragte er plötzlich.
Mir fiel die Kinnlade runter, und Kisten zuckte zusammen. »Ähm, nicht heute, Sportsfreund. Vielleicht irgendwann.«
Oh Gott. Ich hatte vergessen, dass Kinder so waren, und mein Gesicht wurde warm.
»Küsst du sie?«, fragte der Junge weiter.
Kisten grinste, und seine Hand glitt von Audrics Schulter. »Wann immer ich die Chance habe.«
Darüber dachte Audric einen Moment nach, während er an einem Stück losem Beton herumspielte und es dann für den Brückentroll ins Wasser fallen ließ. »Mommy sagt, wenn man jemanden liebt, und man ihn gerne küsst, und er dir niemals, niemals wehtut, dann sollte man heiraten.«
Wenn es nur so einfach wäre.
Audric blinzelte wieder zu mir hoch, und ich bekam die Panik, weil ich nicht wusste, was jetzt in seinem kleinen Hirn vorging und was gleich aus seinem Mund kommen würde. »Tust du Onkel Kisten weh?«, fragte er.
Ich öffnete den Mund, um zu antworten – es war für jedes Kind außer einem Vampirkind eine verstörende Frage –, aber Kisten kam mir zuvor. »Nur meinem Herzen, Audric«, erklärte er. »Miss Rachel ist wie die Sonne. Siehst du, wie sie da strahlt, mit dem Wind in ihren Haaren und Feuer in ihren Augen? Du kannst die Sonne nicht einfangen. Du kannst nur ihre Berührung auf deinem Gesicht spüren. Und wenn du zu viel davon erwischst, dann verbrennt sie dich.«
Bis zum letzten Satz war es wirklich nett gewesen, und ich verzog säuerlich das Gesicht.
»Vielleicht solltest du sie im Dunkeln küssen«, war Audrics nächster Gedanke, und ich lächelte.
»Das ist eine gute Idee«, sagte Kisten und drückte ihm die Tüte mit dem kalten Essen in die Hand. »Warum fütterst du nicht die Enten?«
Das war eine gute Ablenkung, aber dieser verängstigte, mutige kleine Junge hielt die ganze Zeit, während er die Enten zu sich lockte, ein Auge auf seine Mutter. Er war weiser, als seine sechs Jahre es vermuten ließen, und ich fragte mich, wie sein Leben wohl bisher gewesen war, beschützt von seiner Mutter, abgeschirmt gegen das Interesse eines Meistervampirs. Alles sehend. Viel wissend. Und hilflos.
Ich beobachtete, wie Kisten für ihn verklebte Nudeln zerlegte, und wusste, dass ihre Verbindung tiefer ging als die zwischen Onkel und Neffe. Sie waren gleich, nur mit ver schiedenen Ausgangspunkten. Als ich sie so zusammen sah, mit der Sonne, die auf ihren Haaren glänzte und ihren Gedanken in der Zukunft, während sie ruhig die Enten fütterten, wurde mir leicht schlecht.
Kisten fühlte mein Leiden und drehte sich um. Als er mein Gesicht sah, murmelte er Audric ein paar Worte zu
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