Blutseele
Rachel«, flüsterte er mir ins Ohr und erwärmte damit mein Innerstes. »Ich decke deinen Rücken. Nichts Lebendes wird dich verletzen, solange ich noch einen Atemzug in mir habe. Und nichts Totes wird dich verletzen, wenn ich nicht mehr atme.«
Er lehnte sich zu mir, um mich zu küssen, und dieses Mal ließ ich ihn. Meine Lippen schmiegten sich gegen seine, und das Ganze verwandelte sich in einen kribbelnden, erregenden, tiefen Kuss, der meinen Puls wieder zum Rasen brachte.
Das alte Pärchen auf der Parkbank jubelte, und ich löste mich peinlich berührt von ihm. Einer der beiden hatte ein Handy mit Kamera, und ich schaute weg, als es blitzte.
»Dreck«, murmelte ich und dachte dann: zur Hölle damit. Ich konnte Kistens Körper durch meine nassen Klamotten an meinem fühlen. Ich schloss die Augen, schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn noch einmal, tiefer.
»Bratäpfel?«, murmelte er, als der Kuss endete, und seine Lippen an meinem Ohr brachten das Kribbeln seines Kusses zurück. Ich lächelte.
»Sind zum Frühstück wirklich lecker«, erklärte ich, und eng umschlungen humpelten wir zurück zu meinem Auto.
Kraftlinienbummler
Kraftlinienbummler
Kraftlinienbummler erscheint in diesem Band zum ersten Mal in deutscher Sprache. Ich spielte schon seit Jahren mit dem Gedanken an Dryaden und Baumnymphen. Dann beschloss ich, dass es Zeit war zu sehen, ob sich auch Baumgeister an die Hollows anpassen ließen. Obwohl es in Cincinnati jede Menge Bäume gibt, erregte die Vorstellung einer Statue als Gefängnis meine Aufmerksamkeit. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelte sich die gewöhnlich passive, weibliche Gestalt einer Nymphe weiter zu einer wilderen und doch unschuldigen Amazone.
Diese Geschichte ermöglichte es mir außerdem, die Welt einmal durch Jenks’ Augen zu sehen. Das wollte ich schon lange tun. Und der Gargoyle Bis setzte der Geschichte das Sahnehäubchen auf. Rachel weiß immer noch nicht, wie es dazu kam, dass ihr kleinster Zauberkessel verbeult wurde, und wahrscheinlich wird sie es auch nie erfahren.
1
In den unteren Bereichen von Jenks’ Baumstumpf war es düster. Lediglich die hohe Decke des höhlenartigen großen Wohnzimmers wurde noch von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erhellt. Jenks arbeitete im Licht seiner Libellenflügel. Der Pixie schwebte in dem breiten Torbogen, der zu den Lagerräumen führte. Seine Füße hingen über dem Boden, während er mit schmerzenden Schultern eine Kerbe im Türsturz glättete. Der Geruch der Früchte der letztjährigen Gartenarbeit umwehte seine Nase: muffige Löwenzahnsamen, getrocknete Jasminblüten und die letzten Reste des Wiesenklees, den sie für ihre Betten verwendeten. Matalina war eine Traditionalistin. Der Schaumstoff, den er letzten Herbst aus einem Sofa geschnitten hatte, das am Straßenrand stand, hatte ihr nicht gefallen.
Das Kratzen seines Hobels auf dem lebenden Eichenholz betonte nur die Abwesenheit seiner Kinder; die Ruhe war gleichzeitig ungewohnt und beruhigend nach einem Winter, den sie zusammen in der Kirche im Schreibtisch seiner menschengroßen Partnerin verbracht hatten. Jenks be wegte sein unteres Flügelpaar, um den silbernen Pixiestaub aufzuwirbeln, damit er seine Arbeit besser sehen konnte. Dann ließ er eine Hand über das Holz gleiten, um die neue, dekorative Kurve zu begutachten. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Tinks Unterhosen, sie wird es nie merken«, flüsterte er angetan. Die Kerbe, die seine Tochter bei der Jagd auf ihren Bruder ins Holz geschlagen hatte, war aus dem Türrahmen getilgt. Jetzt musste er nur noch die Oberfläche glätten, und seine wunderschöne und ach-so-clevere Ehefrau würde nie davon erfahren. Oder zumindest würde sie nie etwas sagen.
Befriedigt justierte Jenks seine Flügel und schoss zu seinem Werkzeug. Er hätte ja seine Tochter aufgefordert, den Schaden selbst zu reparieren, aber dafür brauchte man kaltes Metall. Mit fünf Jahren fehlte Jolivia noch die Fähigkeit, mit giftigem Metall umzugehen. Jenks gab einen weiteren Staubstoß von sich, um sein viel verwendetes Werkzeug zu beleuchten, dann entschied er sich für eine Nagelfeile, die er aus Rachels Badezimmer geklaut hatte.
Ende März, dachte er, als er sich wieder an die Arbeit machte. Das herunterrieselnde Sägemehl vermischte sich mit seinem eigenen Pixiestaub, während er in der kühlen Stille arbeitete. Es war schon Ende März, und seine Familie war immer noch nicht aus Rachels
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