Blutseele
Schatten der Bäume rollte, die ihm auch die Sicht auf das Kloster nahmen. Am tiefsten Punkt des Weges war ein Stück Erde dicht mit Disteln bewachsen. Durch die stachligen Pflanzen zog sich ein Wanderweg. Nach links führte er den Berg hinunter zum steinigen Strand, rechts tief in den Urwald hinein. Trent warf einen Blick auf sein GPS. Das musste es sein.
Er wechselte in einen niedrigeren Gang, bremste scharf und hielt an.
Der Wind hatte abgeflaut. Obwohl Trents Gesicht sich heiß anfühlte, zitterte er im Schatten der uralten Bäume. Er sah über die Schulter zurück und konnte auf der Straße niemanden entdecken. Doch die Kuppe des Hügels lag hinter einer Kurve verborgen. Kalter Schweiß überzog Trents Haut. Seine Beine protestierten, als er sich über den Sattel schwang und das acht Kilo schwere Rennrad auf die Schulter warf, um dann nach rechts abzubiegen. Er bemühte sich, die Disteln so wenig wie möglich zu berühren, als er auf den schmalen Trampelpfad trat.
Ein Schrei sorgte dafür, dass er den Kopf hob. Tief unter den Bäumen verborgen sah er zurück und entdeckte einen einzelnen Radfahrer, der den Hügel hinunterraste; die drei Werwölfe hinter ihm heulten und warfen ihm Flüche hinterher. Die Sonne beleuchtete eine Staubwolke. Trent lächelte und zog sich tiefer in die Wälder zurück. Jetzt war es nur noch ein Verfolger, nicht zwei. Langsam verstand er, warum Rachel sich auf den Pixie verließ.
Mit hämmerndem Puls zog er das GPS vom Lenker und schob es sich unter den Arm. Dann warf er das Rennrad in ein Farndickicht, sodass es vom Weg aus nicht mehr zu sehen war. Als Nächstes folgte sein Helm, während er seine Zauberkappe wieder in die Tasche schob. Die Farnwedel schwankten für einen Moment, doch als sie sich beruhig ten, war von dem glänzenden schwarzen Rahmen des Rades nichts mehr zu sehen. Der einsame Fahrradfahrer wusste, wo Trent hinwollte, aber trotzdem war Vorsicht sinnvoll. Befriedigt drehte Trent sich um und rannte den festgetretenen Weg entlang. Sofort bekam er Krämpfe in den Beinen. Er biss die Zähne zusammen und lief weiter, bis seine mühe vollen, unbeholfenen Schritte sich in ausdauernde Laufbewegungen verwandelten, die er stundenlang aufrechterhalten konnte.
In der Ferne sang ein Vogel, ein Specht klopfte. Trents Atmung wurde gleichmäßiger, als durchtrainierte Muskeln die Arbeit übernahmen. Die Sonne brach immer wieder durch die Bäume, während das Rauschen des Ozeans unter dem leisen Rascheln der Blätter im Wind verschwand.
Trent wünschte sich fast, er hätte Ellasbeths Forderung nachgegeben und seine Geschäftsinteressen im Mittelwesten aufgegeben – und sei es nur, um sich ein wenig Seelenfrieden zu erkaufen. Doch dann verhärtete sich sein Herz. Cincinnati mochte ja nicht mehr viel Wildnis besitzen, weil die Wälder, die einst die Stadt umgeben hatten, niedergemäht und in den Hochöfen der industriellen Revolution verbrannt worden waren. Die zahlreichen Spezies, die einst dort gelebt hatten, mochten ja unter den Herden von Schweinen und später unter den Füßen der Menschen ausgerottet worden sein, die sich in die Stadt drängten und eine Gesellschaft nach menschlichen Maßstäben aufbauten. Doch trotz ihrer Aura lauten, ausgelassenen Überschwangs hatte Cincinnati seine Eltern willkommen geheißen, als sie vor jenen geflohen waren, die ihnen Schutz versprochen hatten. Cincinnati hatte ihnen Obdach geboten – ein karges, bescheidenes Obdach, aber immerhin voller Ehrlichkeit. Und Trent erinnerte sich, dass seine Mutter die Felder mehr geliebt hatte als die Wälder.
Tief aus seinem Gedächtnis stieg eine fast vergessene Erinnerung an seine Mutter auf, die in der Sonne saß, wäh rend hinter ihr ein Pferd graste. Sie lachte mit ihm und küsste ein Gänseblümchen, bevor sie es liebevoll ihrem Sohn an die Stirn drückte. Trent keuchte und stolperte, als er aus dem Takt geriet. Schnell fasste er sich und rannte panisch weiter. Er erinnerte sich so selten an seine Mutter. Jetzt klammerte er sich an das Bild ihres Lächelns, während sie im Gras saß, das so grün war wie ihre Augen, und die Sonne ihr weißes Kleid zum Leuchten brachte. Er verankerte die Erinnerung in sich, um sie nie wieder zu verlieren. Seine Mutter hatte die Felder geliebt. Und sie lebten so weit vom Meer entfernt, dass sie die Verlockung des Ozeans vergessen hatte.
»Hey, Trent!«
Das Bild seiner Mutter wurde von Jenks’ Stimme zerstört. Mühsam unterdrückte Trent seinen Ärger und
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