Blutseele
wussten, wo sie sich befanden.
Die Bäume wurden höher, die Schatten dunkler und die Stille tiefgründiger, bis es Will erschien, als wären sie die einzigen Menschen, die je auf dem Angesicht der Erde gewandelt waren. Kein einziges Kaugummipapier und keine Zigarettenkippe zerstörten die Illusion. Will sah auf und runzelte die Stirn.
Der Wald hatte sich verändert, während er sich auf die kleinen Dinge unter seinen Füßen konzentriert hatte. Überall im Laubstreu gab es Kreise sauberer Erde. Innerhalb der scharf konturierten Grenzen gab es kein Gebüsch, keine Zweige auf dem Boden, keine Blätter. Rein gar nichts. Es war unerklärlich, aber er war entschlossen, sich nicht danach zu erkundigen. Dianas warf ihm über die Schulter einen spöttischen Blick zu, als wollte sie ihn herausfordern, etwas zu sagen. Ihre Sorge war verschwunden, abgelöst von … Vorfreude?
Die sauberen Erdkreise wurden immer häufiger. Ab und zu waren die Bäume auch von Moosteppichen umgeben. Will wusste, dass einige Nadelbäume ein Toxin ausstießen, um alles zu verkrüppeln oder zu töten, was unter ihnen wuchs. Aber hier standen Buchen, Ulmen und Eichen. Und wo waren die Blätter? Nein. Der Boden war absichtlich gesäubert worden – bis auf die Wurzeldecke.
Sie stiegen auf einen kleinen Hügel und hielten in stillschweigender Übereinkunft an, um die vergangene Pracht eines vor langer Zeit gestorbenen Baumes zu bewundern. Es handelte sich um eine riesige Buche, die immer noch grau und hoch aufragte und mit ihren breiten Ästen scheinbar den Himmel stützte. Darunter lagen ihre eigenen abge fallenen Blätter und Zweige verteilt. Neben dem makellosen Grün unter den anderen Bäumen wirkte das natürliche Chaos fast unordentlich.
»Hier«, sagte Ms. Temson scheinbar angetan. »Hier werden wir uns ausruhen.«
»Nein, mein Lieber.« Sie packte Will am Arm, als er sich in Richtung eines nahe gelegenen Erdkreises bewegte. »Hier.«
Will zog die Augenbrauen hoch. Diana kniete bereits unter dem toten Baum und packte zwischen Zweigen und Unterholz ihre Tasche aus, obwohl nur einen Steinwurf entfernt eine weiche Decke aus Moos lockte.
»Setz dich«, rief Ms. Temson kurz darauf und klopfte auf die karierte Tischdecke. »Das war der Baum deiner Großmutter.«
Will seufzte, als sein Hintern im Dreck landete, dann beäugte er den jungen Baum, den sie mitgebracht hatten. Die Frauen lagen falsch, wenn sie wirklich dachten, er würde rührselig und weich werden und keine Holzarbeiter in den Wald lassen, nur weil er mit ihnen zusammen einen Baum eingesetzt hatte. »Hat sie ihn gepflanzt?«
»Nicht direkt.«
Es gab Tee, schreckliche, trockene Cracker und leichte Unterhaltung. Diana entspannte sich langsam, als Will ihr von seinem Leben und seinem Studium erzählte – auch wenn er Ms. Temsons ständiges Nicken und eindeutiges Drängen nicht zu schätzen wusste. Trotzdem bedeutete es ihm mehr, als es sollte, als die junge Frau lauthals über die Grimasse lachte, die er zog, nachdem er die Marmelade probiert hatte. Er griff nach dem Wein, um den Geschmack loszuwerden, aber Mr. Temson stoppte ihn mit einer erhobenen Hand.
»Trink ihn nicht«, sagte sie. »Ich gieße ihn auf den neuen Baum.«
Will starrte erst die alte Dame, dann das Etikett auf der Weinflasche an. »Er ist in Ordnung«, versicherte sie ihm, »aber er ist für den Baum. Wir werden ihn weit genug weg von den anderen pflanzen, aber man weiß nie. Sie sind niederträchtige kleine Wesen.«
Er sah von Diana zu der alten Dame. »Ähm … Ms. Temson?«
»Grandma pflanzt jedes Mal einen Baum, wenn sie hierherkommt.« Diana starrte ihn herausfordernd an. »Der Wein hält die Dryaden davon ab, ihn auszureißen.«
Ja klar, dachte er sarkastisch. Langsam ergab alles eine kranke Art von Sinn. Die Dryaden. Da er die Waffenruhe nicht brechen wollte, die sich zwischen ihm und Diana eingestellt hatte, nickte er nur.
»Komm, Diana.« Ein wenig mühsam erhob sich Ms. Temson und griff nach dem Baumsetzling in Wills Rucksack. »Ich möchte, dass du mir dabei hilfst, den hier einzupflanzen. Nein, du bleibst hier«, ermahnte sie Will, als er sich die Schaufel nahm und ebenfalls aufstand. »Das ist nicht deine Aufgabe.«
Mit besorgter Miene nahm Diana ihm die Schaufel ab, doch es war eine frische Sorge, die ihrem Herzen entsprang. Will wusste nicht, was er davon halten sollte. Er ließ sich wieder auf die Erde sinken, lehnte seinen Kopf auf den leeren Rucksack und lauschte auf die leisen
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