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Blutseele

Blutseele

Titel: Blutseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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Geräusche der zwei sich entfernenden Frauen: Ms. Temsons hohe, leicht zitternde Stimme, Dianas besorgte Antwort, das Klirren der Weinflaschen. Er mochte sie beide, Ms. Temson genauso wie Diana, aber ein Nachmittag konnte seine Meinung nicht ändern. Der Wald würde zumindest ein wenig ausgedünnt werden. Wenn sein Großvater das nicht gewollt hätte, hätte er ihm das Land nicht hinterlassen.
    Trotzdem spürte Will einen Anflug von Schuldgefühlen, als er sich zurücklehnte und die Augen schloss. Er liebte den Wald. Er war in den Bergen des Westens aufgewachsen, umgeben von Bäumen, dann hatte er an der Universität alles über sie gelernt und schließlich einen schlechtbezahlten Job gefunden, der es ihm erlaubte, mit ihnen zu arbeiten. Darin war er gut. Aber wenn er zuließ, dass ein Morgen oder zwei dieser imposanten Bäume der Axt zum Opfer fielen, konnte er ein besseres Leben führen. Ein viel besseres Leben.
    Der Wind in den Bäumen und die lange Wanderung hatten ihn müde gemacht. Er war kurz vorm Einschlafen, als ein Kichern und ein Ziehen an seiner Mütze ihn aufrüttelten.
    »Hey!«, schrie er, packte einen dünnen Arm und setzte sich auf. Jemand kreischte, und die braunhäutigen Frauen um ihn herum rannten davon. Übrig blieb nur diejenige, die versucht hatte, seine Mütze zu stehlen. Sie kauerte so weit von ihm entfernt wie nur möglich, während er ihr Handgelenk umklammerte.
    Will keuchte und ließ los. Sie war anders als alles, was er bis jetzt gesehen hatte. Vollkommen anders. Sie anzusehen war, als versuche er den Mond im Nebel zu erkennen. Seine Augen glitten immer wieder von ihr ab. Er konnte diese Frau einfach nicht im Blick behalten. Sie war wie ein schwarzer, von Fröschen umgebener Teich, der nach Lehm und Wind roch, wie die stille Kälte des Winters und das ruhige Wachstum des Sommers. Braun wie die Erde, genauso zerbrechlich, genauso beständig. Augen wie die Unterseiten von Wolken in einem Sommersturm. Unschuld. Wilde Unschuld. Aber weiser als die Weisheit selbst.
    »Wer bist du?«, hauchte er.
    Sie drehte sich um und deutete in eine Richtung. Hinter nahe stehenden Stämmen erklang drängendes Flüstern, und verängstigte, neiderfüllte Augen spähten hinter der Rinde heraus. Das Mädchen leckte sich die Lippen und warf einen eifrigen Blick auf seine Mütze zwischen den Blättern.
    Will schob sich näher an sie heran. »Willst du sie?«
    Sie nickte, ohne einen Schritt auf ihn zuzumachen.
    Ein Zweig knackte, und sie riss wie ein erschrecktes Reh den Kopf hoch.
    »Nein!«, rief er. »Warte!« Doch sie war bereits verschwunden, und er konnte nur auf die Stelle starren, an der sie soeben noch gestanden hatte.
    »Diana«, hörte er hinter sich Ms. Temsons mahnende Stimme. »Das hast du absichtlich gemacht.«
    »Dryaden?«, hauchte Will, weil er es einfach nicht laut aussprechen konnte. Er hörte ein Knacken, dann kam Diana in sein Blickfeld. Sie schmunzelte über seine verwunderte Miene und wirkte gleichzeitig irgendwie erleichtert.
    Vorsichtig setzte sich Ms. Temson neben sie, bevor sie eine weitere Tasse Tee aus der Thermoskanne eingoss. Mit tauben Fingern nahm er die Tasse, als die alte Dame sie ihm in die Hand drückte. »Baumgeister, mein Lieber. Deine Großmutter war eine von ihnen, genauso wie meine. Ich bin zu einem Viertel Dryade, aber vollkommen menschlich.« Sie seufzte.
    Diana schaufelte mit dem Löffel Marmelade auf einen Cracker und schob ihn sich dann in den Mund. »Allerdings wird auch sie an bewölkten Tagen ziemlich launisch.«
    »Diana«, mahnte Ms. Temson sanft, dann wandte sie sich wieder zu Will um. »Du, William, hast fast ein Drittel Dryadenanteil in deinem Blut. Deswegen sind sie gekommen … um zu sehen, ob deine Großmutter in ihren Baum zurückgekehrt ist. Deswegen … und um deine Mütze zu stehlen.« Ms. Temson lächelte. »Sie lieben Kleidung. Riskieren fast alles, um sie zu bekommen. Ich wage zu behaupten, dass sie der Grund für einige ziemlich verlegene Nacktschwimmer waren.« Ihr Lachen erhob sich wie ein Schmetterling ins Blätterdach.
    Will brauchte drei Anläufe, bevor er endlich seine Stimme fand. »Meine Großmutter? Aber … wie?« Dann sagte er entschlossener: »Nein. Ich weiß nicht, wer diese Frauen waren, aber sie waren auf keinen Fall … Baumgeister!«
    »Ich habe Arthur gesagt, dass es eine schlechte Idee ist«, erklärte Ms. Temson gerade. »Aber er war jung und glaubte, dass die Liebe die Beschaffenheit der Natur verändern könnte. Und ich

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