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Blutseele

Blutseele

Titel: Blutseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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Honig. Man konnte sich vor ihm retten, indem man fließendes Wasser überquerte oder ihn in einen Baum einschloss. Er war gefährlich, ja, aber er wäre ein guter Freund, wenn man nur wagemutig genug war, ihn zu beeindrucken. Dann war man in Sicherheit.
    Ihre Mutter hatte immer Geschichten zu erzählen gehabt. Ihre Eltern hatten zu den ersten Siedlern im Tal gehört, angezogen von dem fruchtbaren Boden in den Senken, den hohen Bäumen auf den Hügeln und dem kühlen Wasser, das zwischen ihnen floss. Doch heute Nachmittag hatte ihre Mutter Lilly mit ihren Geschichten von einem Monster im Wald, das so lange töten würde, bis man es aufhielt, Angst eingejagt.
    Entschlossen griff Lilly nach der Türklinke, nur um zu zö gern, als Meg fragte: »Hatte das kleine Mädchen keine Angst?«
    »Mehr Angst als sonst jemand auf der Welt«, erklärte Lillys Mutter voller Überzeugung. »Aber sie wusste, dass ihm zu glauben alles zerstören würde, was sie liebte. Also schubste das tapfere Mädchen ihn in den Baum und sprach die magi schen Worte, die dafür sorgten, dass der Baum ihn für immer verschlang.«
    »Und er konnte nicht mehr raus?«, fragte Meg mit tiefer Bewunderung in der Stimme.
    »Viele Jahre lang, Liebes. Und alle lebten für eine Weile glücklich und zufrieden, vertrieben die Wölfe und hatten keine Angst mehr vor dem Wald. Doch Bäume werden alt, Steine zerbrechen, und Bäche verändern ihren Lauf. Aber du musst dir trotzdem keine Sorgen machen. Halt dich vom Wald fern, und du bist in Sicherheit. Versprich mir, dass du nicht in den Wald laufen wirst, Meg. Du auch, Em. Schnell jetzt.«
    Lilly ließ ihre Hand sinken und trat einen Schritt zurück in den dunklen Flur, als die beiden kleinen Mädchen ernst ihr Versprechen gaben. Vielleicht war es gar nicht so schlimm. Die Geschichten ihrer Mutter waren harmlos. Und sie halfen dabei, Meg vom Wald fernzuhalten. Es gab keine rachsüchtigen Baumgeister, aber dafür übersahen Jäger oft die Verbotsschilder. Ganz abgesehen von den Löchern, die sich plötzlich im Boden auftaten und in unbekannte Höhlen führten. Die Wälder waren gefährlich. Vielleicht war das nur die Art ihrer Mutter, die stets abenteuerlustige Meg in der Nähe des Hauses zu halten. Ihre kleine Schwester Em war nicht so risikofreudig, aber Meg …
    Mit gesenktem Kopf drehte Lilly sich, um nach unten zu gehen. Mit leisen Schritten ging sie über den grünen Teppich und überließ die drei ihrem Bettgeh-Ritual. Lillys Sorge folgte ihr wie ein Parfüm und prägte ihre Laune, während sie die schmalen, steilen Stufen nach unten stieg und sorgfältig darauf achtete, die quietschenden Bretter auszulassen, damit ihre Mom nicht erfuhr, dass sie gelauscht hatte. Hinter ihr erhoben sich drei Stimmen – eine alt und zart, zwei jung und falsch – zu einem vertrauten Singsang.
    »Geist im Mondlicht, Jäger am Tage; Band zertrennt vom Sonnenlicht.«
    »Blut ist bindend, Blut ist Reiz; Fleisch widersteht süßer Klinge nicht.«
    »Vom fremden Fleische löse den Geist; in erwecktes Holz das Wesen reist.«
    Lilly sah mit gerunzelter Stirn die dunkle Treppe hinauf, während ihre Mutter Meg und Em sagte, was für gute Mädchen sie doch wären. Meg kicherte bei dem Lob. Lilly war nicht klar gewesen, dass ihre Mutter den Kindern diesen ver sponnenen, morbiden Reim beigebracht hatte. So hatte ihre Mutter auch sie einst ins Bett gebracht, mit dem Reim eingebettet zwischen ihrer Gute-Nacht-Geschichte und ihrem Abendgebet.
    Lillys Stimmung verfinsterte sich, als das Gedicht in ihrem Kopf widerhallte und Erinnerungen wachrief. Mit schnellen Schritten ging sie in die hellerleuchtete Küche und schnappte sich ein Tuch, um die Teller vom Trockengestell in den Schrank zu verlagern. Pepper, ihre blonde Labradorhündin, stand wartend und schwanzwedelnd vor der Tür. Lilly ließ sie nach draußen. Die Krallen des Hundes kratzten über die Verandastufen, dann verschwand Pepper in der Nacht. Nur das Klingeln ihres Halsbandes verriet, dass sie noch da war.
    Lilly blieb einen Moment auf der Türschwelle stehen und sah zu der Autobrücke, die im Mondlicht leuchtete. Verzweifelt ließ sie die Fliegengittertür zuknallen. Aufgewühlt erinnerte sie sich daran, wie Meg an diesem Nachmittag ins Haus gekommen war – eine Hand auf den Arm gepresst und unglücklich, weil ihre Großmutter sie aus dem Bach gezogen hatte. Lillys Mutter war ihr ein paar Minuten später gefolgt, mit bleichem Gesicht, abgelenkt und voller wilder Geschichten. Sie

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