Blutseele
weniger feucht. Es würde ein brennend heißer Tag werden. Sie war froh, dass das Heu bereits eingebracht war und die Scheune, in der auch ihr Atelier lag, mit dem Geruch nach Sommer füllte.
Lilly sehnte sich danach, sich in ihrer Arbeit zu verlieren, nachdem ihr unruhiger Schlaf von Bildern honigäugiger Wölfe erfüllt gewesen war. Lilly gab ihrer Mutter die Schuld daran. Sie glitt in die Küche und entdeckte neben der Spüle einen Korb voll frisch gewaschener Eier.
Es war ruhig, selbst für ein einsames Farmhaus am Rande des Nirgendwo. Das Quietschen der Hollywoodschaukel auf der Veranda vermischte sich mit dem Zirpen der allgegenwärtigen Grillen und dem Plätschern des Baches. Lilly stellte sich auf die Zehenspitzen, um auf die Veranda zu sehen. Auf der Schaukel saß Meg mit einem halbgeschmolzenen Eis in der Hand, während Pepper unter ihr lag. Die Sonne tauchte das Mädchen in goldenes Licht, und die Neun jährige mit dem glatten braunen Haar wirkte in ihren kurzen Hosen unschuldig weise – ein kleiner Fleck ruhiger Intelligenz, der leise vor sich hinschaukelte und wartete, bis etwas die Straße entlangkam. Etwas, was sie nicht mit ihrer Mutter teilen würde.
»Guten Morgen, Meg«, sagte Lilly leise durch das offene Fenster und hielt den Vorhang zur Seite, um das vom Eis blaugefärbte Lächeln ihrer Tochter zu sehen. »Du bist früh auf. Wo ist Gram? Immer noch in der Scheune?«
Das Quietschen der Schaukel verlangsamte sich, ohne ganz zu verstummen. »Sie macht einen Spaziergang im Wald.« Meg löste ihren Blick von der Autobrücke und drehte sich so, dass sie ein Bein auf die Schaukel zog, während blaue Tropfen von ihrer Hand fielen.
Bei Megs Worten versteifte sich Lilly. Sie trat zurück und ließ den Vorhang los, wobei es ihr zum ersten Mal erschien, als sähe ihre Hand aus wie die ihrer Mutter. Emily hatte gesagt, sie wolle in den Wald gehen, um zu schauen, ob der Baum ihres Dryaden abgestorben war. Doch diese Wahnvorstellung hatte jetzt lange genug gedauert.
Mit gerunzelter Stirn trat Lilly auf die Veranda, ihre Turnschuhe lautlos auf dem verblassten Linoleum. Das Quietschen und Knallen der Tür erschreckte sie, aber sie zwang sich zu lächeln, um Meg nicht zu verängstigen. »Sie ist in den Wald gegangen?«, fragte sie, setzte sich neben Meg und stieß die Schaukel an. »Warum?«
Meg legte den Kopf schräg und streckte die Zunge nach einem blauen Tropfen, der zu fallen drohte. »Sie hat mich versprechen lassen, es nicht zu erzählen, aber es ist okay. Sie weiß, dass Penny ein Lügner ist.«
Verdammt. Verdammt und zur Hölle . Lilly atmete tief durch und spürte die schwere Luft in ihrer Lunge, die ihre Gedanken verlangsamte und ihre Muskeln ermüdete. »Wie lange ist das her, Süße?«, fragte sie, immer noch bemüht, ihre Wut zu verstecken.
Meg zuckte mit den Schultern und neigte den Kopf, um eine Seite des letzten blauen Eisstreifens abzubeißen.
»Meghan Ann!«, blaffte Lilly. Das kleine Mädchen blinzelte mit aufgeblähten Wangen, weil sie versuchte, sich vor der Kälte in ihrem Mund zu schützen. »Wie lange?«
Mit weit aufgerissenen Augen schluckte Meg ihr Eis. »Die Sonne stand noch nicht über den Bäumen«, bot sie an und sah ihrer Mutter unverwandt ins Gesicht.
Erregung zwang Lilly auf die Füße. Die Schaukel schwang gegen ihre Kniekehlen und wieder zurück. »Weniger als eine halbe Stunde«, murmelte sie, bereits auf dem Weg in die Küche. Genug war genug. Sie würde ihre Mutter finden, und dann würden sie ein intensives Gespräch über Fantasie und Realität führen. Ihre Mutter war nicht verrückt, und sie verlor auch nicht den Bezug zur Wirklichkeit. Aber wenn sie tatsächlich in die Wälder lief, um ein Märchen zu jagen, dann stand es vielleicht schlimmer um sie, als Lilly sich eingestehen wollte.
Eine neue Angst gesellte sich zu den alten, als sie ihr Handy aus der Tasche an der Eingangstür holte. An der Hintertür nahm sie ihre Arbeitsstiefel und ihren Sonnenhut von seinem Haken. Ems und Megs Hüte hingen neben ihrem, doch der ihrer Mutter war verschwunden.
»Meg, pass auf Em auf, okay?«, sagte sie, als sie wieder auf die Veranda trat und sich auf die Schaukel setzte, um ihre Turnschuhe auszuziehen. »Ich muss Gram finden.«
Meg, die ihr Eis inzwischen aufgegessen hatte, rutschte mit dem Holzstiel zwischen den Zähnen von der schwingen den Bank. »Gram hat mir schon gesagt, dass du ihr folgen würdest. Darf ich fernsehen?«
Mit gesenktem Kopf schob Lilly ihre
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