Blutseele
aufgeteilt war. Die Fenster waren groß und von außen mit dem Dreck von vierzig Jahren ver schmiert. Piscary gefiel es nicht, dass alles so einsehbar war, und das verschaffte den beiden zumindest ein kleines Stück Sicherheit.
Ivy stellte die Weinflaschen auf dem Tisch am Ende der Treppe ab und dachte darüber nach, dass sie und Kisten wie zwei missbrauchte Kinder waren. Sie sehnten sich nach genau der Person, die sie missbraucht hatte, und liebten sie aus reiner Verzweiflung. Der Gedanke war nicht neu und hatte schon seit Langem jeden Stich verloren.
Sie zog ihren Mantel aus, hängte ihn auf und stellte ihre Tasche neben die Weinflaschen. »Kist?«, rief sie. »Ich bin zu Hause.« Sie nahm die Flaschen wieder an sich und runzelte die Stirn. Vielleicht hätte sie drei holen sollen.
Niemand antwortete, und als sie Richtung Küche ging, um die Flaschen kalt zu stellen, stieg ihr der Geruch von Blut in die Nase und ließ sie zittern, als wäre er ein Stromstoß. Es war nicht Kistens Blut.
Sie blieb stehen und atmete tief durch. Dann drehte sie den Kopf zu der Ecke, wo die Lieferanten letzte Woche ihren Stutzflügel abgestellt hatten. Er hatte ein tieferes Loch in ihre Finanzen gerissen als das Motorrad, aber sein Klang ließ sie alles vergessen, bis das letzte Echo verstummt war.
»Kist?«
Sie hörte ihn atmen, konnte ihn aber nicht sehen. Ihr Gesicht wurde ausdruckslos, und jeder Muskel verspannte sich, als sie zu den Sofas ging, die um den Flügel herumstan den. Das verwaschene Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, glitzerte auf dem schwarzen Holz. Sie fand Kisten auf dem weißen Perserteppich zwischen der Couch und dem Klavier. Vor ihm lag ein Mädchen in engen Jeans, einem schwarzen Spitzenoberteil und einem abgetragenen Ledermantel.
Kisten hob den Kopf, und in seinen Augen stand Panik. »Ich war es nicht«, beteuerte er. Seine blutigen Hände schwebten über der Leiche.
Scheiße . Ivy ließ die Flaschen auf die Couch fallen und kniete sich vor die beiden. Gewohnheit ließ sie nach einem Pulsschlag suchen, aber an ihrer Hautfarbe und dem Biss an ihrem Hals konnte sie sehen, dass die winzige Blondine trotz ihrer Wärme nicht mehr lebte.
»Ich war es nicht«, sagte Kisten wieder und schob seinen durchtrainierten Körper ein wenig nach hinten. Seine starken, muskulösen Hände zitterten, und die Oberseite seiner Fingernägel war mit einem roten Schein überzogen. Ivy schaute von seinen Händen in sein Gesicht und sah die Angst in seinen fast zarten Zügen, die er hinter einem rotblonden Bart versteckte. Auf seiner Stirn unter dem braunen Pony war ein Blutfleck, und sie unterdrückte gleichzeitig fasziniert und angewidert den Drang, das Blut wegzuküssen. Das ist nicht, wer ich sein will .
»Ich habe das nicht getan, Ivy!«, rief er, als sie weiter schwieg. Sie streckte den Arm über das Mädchen hinweg aus, um ihm die Haare aus der Stirn zu streichen. Die sanfte Erweiterung seiner Pupillen brachte ihren Atem zum Stocken. Gott, er war schön, wenn er aufgeregt war.
»Ich weiß, dass du es nicht warst«, sagte sie, und sofort entspannten sich Kistens breite Schultern. Sie fragte sich, ob das der Grund war, warum er so aufgeregt war. Nicht, weil er sich um Piscarys Fehler kümmern musste, sondern weil Ivy denken könnte, er habe es getan. Und so wurde ihr klar, dass er sie liebte.
Die hübsche Frau war Piscarys Lieblingstyp, mit langen hellen Haaren und einem kantigen Gesicht. Wahrscheinlich hatte sie blaue Augen. Scheiße, scheiße und noch mal scheiße . Ihr Hirn arbeitete daran herauszufinden, wie man den Schaden minimieren konnte. »Wie lange ist sie schon tot?«
»Minuten. Auf keinen Fall mehr.« Kistens resonante Stimme klang wieder normaler. »Ich habe versucht rauszufinden, wo sie wohnt, und wollte sie ein wenig saubermachen, aber sie ist direkt hier auf der Couch gestorben. Piscary …« Er suchte ihren Blick und hob die Hand, um an einem von zwei Diamantohrringen in seinem Ohr zu ziehen. »Piscary hat mir gesagt, ich solle mich darum kümmern.«
Ivy schob sich auf den Rand der Couch hinter ihr. Es sah Kisten nicht ähnlich, so in Panik zu verfallen. Er war Piscarys Nachkomme, die Person, die der untote Vampir erwählt hatte, um sein Restaurant zu führen, seine Tagesarbeiten zu erledigen und seine Fehler zu vertuschen. Fehler, die gewöhnlich ungefähr einen Meter fünfzig groß und blond waren und ungefähr fünfzig Kilo wogen. Verdammt bis zur Hölle. Piscary hatte sich keinen solchen
Weitere Kostenlose Bücher