Blutsgeschwister
sahen die Schwestern dauernd andere in der Schule, wo sie nicht nur in unterschiedlichen Klassen, sondern auch in unterschiedlichen Jahrgängen waren. Fancy wusste sehr genau, wie man mit den Leuten umging: Man musste sich von ihnen fernhalten, und wenn das nicht ging, sie einfach ignorieren. Menschen weckten in ihr zu viele ungesunde Gelüste.
Die Schwestern sausten schweigend eine Weile nebeneinander her. Die Bäume standen immer vereinzelter am Straßenrand, je näher sie der Innenstadt von Portero kamen. Oder dem Square, wie jeder das Zentrum nannte, nach dem Fountain Square, einem Orientierungspunkt mitten in der Stadt, den vor allem die Porteraner benutzten, um sich zu orientieren. Die Oberstadt lag im Norden des Fountain Square und die Unterstadt im Süden. Alles, was nördlich der Oberstadt oder südlich der Unterstadt oder noch weiter entfernt lag, war außerhalb der Grenzen von Portero und deshalb für niemanden interessant, abgesehen von denen, die von außerhalb kamen.
Fancy und Kit ruckelten über die rote Backsteinstraße, vorbei an niedrigen, bunten Gebäuden. Die zarten Bäume, die den Mittelstreifen säumten, waren von niedlichen kleinen Zäunen umgeben. Sie hatten nichts gemein mit ihren Cousins in dem wilden Wald der Oberstadt. Die gesamte Stadt roch normalerweise pinienfrisch, oder, wenn der Wind richtig stand, nach frisch gebackenem Brot, dank der Brotfabrik im Industriegebiet. An vielen Tagen aber roch Portero nach Blut.
An der Ampel bogen die Schwestern in die Claudine Street ein und kamen schlitternd zum Stehen.
Die Claudine Street sah aus, als hätte sie jemand aufgerissen. Überall lagen Steine herum. Autos und Trucks waren umgefallen oder kippelten in seltsamen Winkeln vor sich hin. Wasser schoss hart und wild aus einem zerstörten Hydranten und flutete an den Reifen der Schwestern vorbei.
Die Schwestern fuhren auf den trockenen, verlassenen Bürgersteig und stellten ihre Räder am nächsten Fahrradstand ab. Kit nahm Fancys Hand und führte sie die Straße entlang. Dabei vermied sie geschickt die Blutpfützen auf dem Bürgersteig.
»Was glaubst du, wodurch das Ganze hier angerichtet wurde?«, fragte Fancy und klammerte sich an Kits Hand. Die Leute hinter den Schaufenstern, an denen sie vorbeigingen, schauten sie mit riesigen Augen an.
Kit zuckte nur mit den Schultern. Das war das Problem, wenn man in Portero lebte – es hätte alles Mögliche sein können.
»Hab keine Angst, Fancy Pants. Sieh mal.« Kit zeigte auf die sonnenhellen grünen Trucks, die sich an der Straße reihten. »Die Mortmaine sind hier. Was auch immer es ist, sie sind schon dran.«
Wenn die Porteraner schon echt hart drauf waren, weil sie täglich in Portero überlebten, dann waren die Mortmaine jenseits von hart. Sie waren eine Elitegruppe aus Männern und Frauen, die nur grün trugen, wie Uniformen, und deren einziger Job es war, die Monster davon abzuhalten, die Stadt im Ganzen zu verschlingen.
Aber dass die Mortmaine in voller Stärke unterwegs waren, bedeutete nicht, dass man unvorsichtig sein sollte. Die Schwestern beeilten sich, in eine Boutique auf halbem Weg die Straße hinauf zu kommen. Der Laden war eine kühle Oase, in der »Summertime Blues« aus versteckten Lautsprechern wummerte. Eine Verkäuferin in einem engen Kleid mit mandarinenfarbigem Kragen stand hinter der Theke und knabberte sich gelassen durch eine Tüte Speckschwarten, während sie in der Vogue herumblätterte.
»Hey«, rief Kit. »Was zur Hölle ist denn da draußen passiert?«
»Monster«, antwortete die Verkäuferin, ohne von ihrem Magazin aufzusehen. »Kam von unter der Erde. Der übliche Scheiß.«
Enttäuscht darüber, dass es keine aufregende Geschichte gab, machten sich die Schwestern daran, nach Kleidern zu suchen. Sie durchforsteten die Kleiderständer nach etwas, das rüschig und edel genug war, um in Cherry Glade als cool durchzugehen. Als sie sich auf zwei Kleider geeinigt hatten, fragte Kit die Verkäuferin nach ihrer Meinung.
»Was halten Sie von denen?« Kit hielt ein schwarzes Seersucker-Trägerkleid mit weißen Punkten für sich selbst und einen schwarzen Baumwollspitzen-Kleiderrock für Fancy hoch.
Die Verkäuferin leckte sich Speckschwartenkrümel von den Fingern und betrachtete die Schwestern, nicht die Kleider. »Seid ihr nicht die Cordelle-Mädels?«
Die Schwestern seufzten. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. »Ja, sind wird. Und?«, erwiderte Kit.
»Zu dumm, dass heute niemand mehr gehängt wird«,
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