Blutskizzen
darauf hingewiesen, dass sie nichts zu sagen braucht.«
»Ich lasse mich ungern verarschen, Herr Kirchenberg« - hoppla, noch eine Freundin des deutlichen Wortes -, »Sie wissen genau, was ich meine. Frau Michels ist nicht der Stärksten eine und vielleicht auch nicht der Hellsten eine. Es ist einfach verwerflich, eine Situation herbeizuführen, die das ausnutzt. Sie wissen natürlich, dass Sie die Aussage niemals hätten verwerten dürfen, aber darum ging es Ihnen auch gar nicht, Sie wollten Infos. Und dann noch etwas. Können Sie mir auch nur entfernt erklären, was das Sexualleben der beiden mit Ihren Ermittlungen zu tun hat? Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie sehr Sie diese Frau gequält haben?«
»Frau Michels ist erwachsen und, wenn ich richtig informiert bin, auch nicht entmündigt. Sie kann also allein entscheiden, was sie wann sagt.«
»Sie hat ein Zeugnisverweigerungsrecht, ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht, das sie da in Anspruch nimmt.« Heftiges Gestikulieren.
»Richtig, ein Recht, aber keine Pflicht. Ich sagte es schon, sie ist belehrt worden.«
»Ist das wirklich Ihre Meinung, Herr Kirchenberg«, ihr Atem müsste Lavatemperatur haben, »dass man Bürgerrechte bei Leuten, die das möglich machen, einfach so mit Taschenspielertricks aushebelt? Ist das Ihre Rechtsauffassung?«
»Meine Rechtsauffassung ist, dass man keine Menschen töten darf.«
»Das ist ja auch noch die große Frage, ob Herr Michels die getötet hat. Nennen Sie mir einen wirklichen Beweis und nicht diese Ansammlung von Merkwürdigkeiten, die im Haftbefehl stehen.«
»Es ist die Gesamtheit der Punkte.«
»Das ist doch Unsinn.« Sie wird nicht ruhiger. »Jeder einzelne Punkt ist widerlegbar. Mein Mitarbeiter hat gestern dreißig Minuten an der Ampel an der Bundesstraße gestanden. Soll ich Ihnen mal sagen, wie viele VW-Transporter in der Zeit dort vorbeigefahren sind? Bei zwanzig ist er weggefahren. In dreißig Minuten.«
»Und die Bremslichter?«
»Ach, hören Sie auf, das alles sind mögliche Wahrscheinlichkeiten, sonst nichts. Und was war das für eine Gegenüberstellung gestern, von der mir Herr Michels etwas erzählt hat? Gibt es darüber etwas in den Akten?«
»Selbstverständlich gibt es darüber etwas Geschriebenes.«
»Auch über diese eigenartige Einzelgegenüberstellung?«
»Wir leben in einem Rechtsstaat, Frau Gerber-Green...«
»… Green-Gerber...
»… Green-Gerber. Sie können das alles nachprüfen.«
»Das hoffe ich für Sie.« Etwas leiser. »Aber hier geht es nicht nur um rechtliche Fragen, Herr Kirchenberg, sondern auch um moralische. Können Sie sich irgendwo in den Weiten Ihres Polizistenhirns vorstellen, Herr Kriminalhauptkommissar, was das alles hier für meinen Mandanten bedeutet, wenn er diese Morde nicht begangen hat? Wenn er vor mehr als zwanzig Jahren mal einen Fehler gemacht hat und nun mit großer Mühe versucht, ein anderes Leben zu führen? Gibt es irgendwo drei Zellen, die das versuchen könnten nachzuvollziehen?«
Auch noch eine Anhängerin der Hirnforschung.
»Ich sage es Ihnen. Es bedeutet das Grauen. Der Mann kann hier wegziehen. Denken Sie mal darüber nach.«
Sie nimmt ihre Tasche, noch ein Gruß zu Helmut, Abgang.
Helmut sitzt hinter seinem Schreibtisch, hält mit beiden Händen einen Stift vor seinem Gesicht, wippt mit dem Stuhl.
»Sei man froh, dass du nicht gemeint warst. Hast du mal’nen Schnaps?«
»Schnaps kannst du haben, aber das ist noch nicht alles, Konni. Herr Brehm von der Kirchengemeinde hat vorhin angerufen.«
»Wollte er eine Aussage machen?«
»Aussage trifft es nicht so richtig.« Er zieht eine Grimasse.
»Okay, zwei Schnäpse.«
18 Uhr 02
Im Radio ein Klavierkonzert, ruhig und fließend, der Schnaps macht müde.
Moralische Fragen, kommt die echt mit Moral. So viele Zufälle gibt es doch gar nicht. Wenn ich bei so vielen Sachen im Bereich des Möglichen bin, ist das doch fast schon Sicherheit. Und dann dieses Verhalten bei den Vernehmungen. Über Land gefahren, meine Frau ist eine labile Persönlichkeit, laber, laber …
Vermerk
Am heutigen Tage wurde gemeinsam mit KOK Reker und Leichenspürhund Gerry das Gebäude 17b am alten Güterbahnhof aufgesucht.
Bei der Begehung wurde zunächst...
Weiter
… zeigte der Hund im gesamten Bereich keine Hinweise auf Spuren einer Leiche an.
Beckmann, KHK
In den Lichtkegel der Schreibtischlampe fliegt eine Mücke, träge und lautlos. Im November. Wo hast du denn überlebt? Sie umkreist die Birne,
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