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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Sie Einblick haben, den Glauben an Gerechtigkeit nicht verliert. Wie man sich eine solche Weichheit erhalten kann.« Da war Frau Green-Gerber heute aber anderer Meinung. »Das hat mir sehr viel Kraft gegeben in manchen Momenten, glauben Sie mir.«
    Er schließt wieder die Augen. Sein Gesicht ist blass und sieht anders aus als am Samstag. Die Falten tiefer, um die Augen ein dunkler Rand, wie mit Tusche gezeichnet. Aber noch mit Leben darin, er sieht noch nicht tot aus. Ja, ja, damit kennen wir uns aus, mit Toten. Wie viele Leichen waren das wohl in all den Jahren? Pro Woche zwei bis vier, zur leichteren Rechnung, macht hundert bis zweihundert im Jahr, mal... Mein Gott, ganze Halden von verwesendem Fleisch.
    Er hält die Hand weiter fest, seine Haut fühlt sich trocken und weich an. Ein kurzer Druck, er schlägt die Augen wieder auf.
    »Sie hatten mir beim letzten Besuch eine Frage gestellt, erinnern Sie sich? Sie wollten wissen, ob der Glaube einen Menschen von Grund auf verändern kann.«
    Das hat er tatsächlich nicht vergessen.
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Ich glaube, ja, Konstantin, ich glaube, ja. Nach all den Erfahrungen meines Lebens bin ich sogar der Meinung, dass kaum etwas anderes die Menschen so sehr verändern kann wie der Glaube. Der Glaube allein, an was auch immer.«
    Sein Daumen reibt sacht über den Handrücken, er gleitet wieder weg, versucht, dagegen anzukämpfen, hat Mühe.
    »Danke, dass Sie da waren, Konstantin.« Drei mühsame Atemzüge, für einen Augenblick ist Schmerz in seinen Zügen. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber meine Kraft geht, ist nicht mehr unbegrenzt, und ich würde gern den Augenblick erleben, wenn Sie gehen.«
    Seine Augen werden gläsern. Noch ein Druck der Finger, aufstehen, gehen. Vier Schritte, in der Tür noch einmal umsehen, ein letzter Blick, still und wissend, in seinen Augen keine Traurigkeit, raus.
    Durchatmen.
    Der Bruder kommt aus der Küche, nimmt die Rechte mit beiden Händen.
    »Danke.«
    Kein weiteres Wort. Er öffnet die Haustür, Kälte fließt herein, er schließt sie ganz leise.
    Die Platten auf dem Weg glitzern, auf dem Gartenteich eine dünne Schicht Eis, das Spiegelbild der Straßenlaterne ist trübe.
    Das Handy, Telefonbuch, Ulla.
    »Wiesing.«
    »Ulla, ich bin’s. Irgendwas passiert in meiner Abwesenheit?«
    »Nichts, was dich freuen würde, Konni.«
    »Dann fahr ich jetzt nach Hause, brauche ein bisschen Ruhe, ist das okay?
    »Hab ich dir ja schon heute Morgen gesagt. Schlaf gut.«
    »Wir sehen uns morgen.«
    Schlafen? Ja, später. Vorher noch was trinken.
    Durch eine Wolkenlücke ist ein Stern zu sehen. Kalt ist es.

22 Uhr 23
    Er zählt die Striche, neun Bier, sechzehn zwanzig.
    »Siebzehn.«
    Er bedankt sich mürrisch, geht.
    Die Pendeltür nach draußen stößt auf Widerstand, etwas mehr drücken, geht nicht. Sie fliegt mit einem Stoß auf.
    »Merkst du das nicht, Penner?« Klein, kräftig, Bart, angriffslustige Augen, zwei junge Burschen in seiner Begleitung.
    »Sei mal etwas vorsichtig mit deinen Ausdrücken, oder lernt man das heute in der Sonderschule nicht mehr.«
    Er will noch was sagen, die beiden Jungen ziehen ihn in die Kneipe.
    Neun Bier. Etwas zu viel zum Fahren. Der Wagen steht in einer Parkbucht, kein eingeschränktes Halteverbot, da kann er stehen bleiben.
    Der Himmel hat sich wieder zugezogen, Nebel hängt wie Hauben um die Straßenlaternen. Aber kein Regen, dann durch den Park.
    Wir kriegen ihn nicht, wir kriegen die Sau nicht. Aber warum? Clever ist er, klar, ohne Frage. Aber kann man über Jahre Menschen töten, ohne aufzufallen, ohne einen Fehler zu machen, ohne dass irgendeine Kleinigkeit schiefgeht? Glück. Man braucht natürlich auch Glück, auch als Täter. Aber über Jahre? Verdammt, das kann doch alles nicht sein. Sind wir denn zu blöd? Zu blöd, um die Lücke zu erkennen? Ob Siele noch lebt? Eigenartig. So viele Tote gesehen in den Jahren, aber beim Sterben sind wir nie dabei. Wir kommen hinterher. Das ist wirklich was anderes, beim Sterben. Noch machtloser. Glaube allein, hat er gesagt. Glaube allein kann einen Menschen ändern. Was ist, wenn er es nicht war? Ein neues Leben. Auf den richtigen Weg zurückgekommen. Glaube kann Menschen verändern, ja, ja, kann ja sein. Aber keine Mörder. Jedenfalls nicht alle. Den jedenfalls nicht. Erfahrungen sind Erfahrungen, verflucht. Erfahrungen sind doch auch was. So ein bisschen kann man sich doch noch auf sich verlassen. Glaube? Man ist doch nicht bescheuert,

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