Blutspuk in Venedig
dort, schaute den geschwungenen Bogen hoch und meldete, daß er nichts sah. »Sie ist leer, John, und ich kann mir vorstellen, daß ich weiter oben auch nichts finde.«
»Wir könnten trotzdem nachschauen.«
»Das hatte ich auch vor.«
»Dann geh.«
»Und du?«
»Ich schaue mich hier unten um.« Die untere Etage bestand nicht nur aus einem Raum. Längst hatte ich den offenen Durchgang entdeckt, der in einen zweiten führte.
Auch er war leer.
Auch hier umfing mich derselbe Geruch. Die Fenster lagen links von mir.
Ich trat näher heran und schaute hinaus. Durch den Schmutz auf der Außenseite war der Kanal nur schemenhaft zu erkennen. Die darauf fahrenden Boote bewegten sich lautlos wie Gespenster an der Fassade des Hauses entlang.
Nichts war in meiner Umgebung zu hören. Nichts Fremdes zumindest, nur meine eigenen Tritte. Suko bewegte sich in der oberen Etage. Von ihm nahm ich auch nichts wahr.
Meine Gedanken kreisten um Parettis Sekretär Sid Arnos. Auch er hatte an dem Ort gestanden, an dem ich mich aufhielt. Später hatte man ihn ohne Gesicht im Canale Grande treibend gefunden. Das war eine Tatsache, von den Kollegen bestätigt. Aber wie es dazu gekommen war, daß er sein Gesicht verloren hatte, wußte keiner. Eine Antwort auf diese Frage war die Lösung des Rätsels.
Ich ging ihr in kleinen Schritten entgegen und ging zugleich davon aus, daß es hier zwischen diesen Mauern passiert sein mußte. In der Leere dieser Zimmer oder Hallen hatte das Schicksal so brutal, grauenhaft und endgültig zugeschlagen. Um aber zuschlagen zu können, mußte etwas passiert sein. Irgendein Ereignis, ein Vorgang, den ich unbedingt finden wollte. Es mußte in diesem Palazzo einen Feind gegeben haben. Ihn zu finden, war meine vordringlichste Aufgabe. Wer war in der Lage, einem Menschen das Gesicht zu rauben?
Ich befand mich inzwischen lange genug in diesem alten Haus, um mich an die Atmosphäre gewöhnt zu haben. Ich konnte sie schnuppern, riechen, schmecken. Aber ich konnte dabei nichts feststellen, was mich auf eine dämonische Bahn gelenkt hätte.
Es war und blieb normal.
Da veränderte sich nicht der Geruch, da strömte nichts aus irgendwelchen Löchern hervor, auch die Malereien an den Wänden und Decken lebten nicht, obwohl es mir manchmal so vorkam, wenn ich sie zu lange anschaute. Dieser Palazzo war normal und trotzdem anders.
Er mußte einfach anders sein. Es gab für mich keine andere Alternative.
Ein Haus, in dem etwas in der Vergangenheit geschehen war, konnte nicht so sein, daß einfach alles in Vergessenheit geriet. Hier war etwas geschehen, und ein Mann namens Sid Arnos hatte dafür mit dem Leben bezahlen müssen.
Sukos Stimme riß mich aus meinen Gedanken. Sie drang aus der Höhe an meine Ohren und schallte hinein in die Halle. »Hier habe ich nichts entdeckt, John – du?«
»Nein.«
»Dann gehe ich noch eine Etage höher. Es wird die letzte sein, schätze ich mal.«
»Okay, tu das.«
Ich hörte nicht, wie er sich in Bewegung setzte, sondern drehte mich um und schritt denselben Weg wieder zurück. Die untere Etage des Palazzo bestand eben nur aus zwei Räumen, die die gesamte Breite des Bauwerks einnahmen.
Sie war so verdammt leer, und ich suchte vergebens nach irgendwelchen Spuren. Der Boden kam mir vor, als wäre er frisch gewischt worden. Dabei hätte Sid Arnos Fußspuren hinterlassen müssen. Es waren keine zu finden gewesen.
Dafür sah ich meine Abdrücke. In dem Durchgang blieb ich stehen.
Leicht frustriert, weil sich nichts getan hatte. Bisher hatte ich mein Kreuz noch nicht hervorgeholt. Ich tat es jetzt, allerdings ohne große Hoffnung darauf, einen weitreichenden Erfolg zu erzielen. Wenn eine schlechte, eine böse Aura in der Nähe gelauert hätte, dann hätte ich sie wahrscheinlich auch so gespürt, das traute ich mir nach all den Jahren zu.
Die feinen Glieder der Kette streiften meine Nackenhaare hoch, als sie darüber hinweg fuhren. Dann lag das Kreuz auf meiner Hand.
Nichts passierte.
Ich hob die Schultern. Es war wie bei einem Wünschelrutengänger, der darauf wartet, daß sein Gerät anschlägt. Ich betrat die erste Halle und schritt auf eine der beiden Säulen zu.
Es war nur ein Hauch, ich spürte ihn trotzdem.
Das Kreuz hatte sich leicht erwärmt. Augenblicklich blieb ich stehen. Ein Irrtum? Ich senkte den Blick.
Es gibt und es gab genügend Gelegenheiten, bei denen mich mein Kreuz auf seine Art und Weise gewarnt hatte. Manchmal huschte silbrig flimmerndes Licht in
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