Blutspuk in Venedig
obwohl ich alles wußte. Suko stand mittlerweile hinter mir und hörte dem Gespräch zu. »Was sagt denn die Polizei dazu?«
Luigi winkte ab und lachte.
»Warum tun Sie das?«
»Die Polizei – Himmel, die steht vor einen Rätsel. Die schaut dumm aus der Wäsche.«
»Sie kommt also nicht damit zurecht?«
»So ist es. Und es ist auch schwer, kann ich Ihnen sagen. Ich bin kein großer Freund der Uniformierten. Sie stören oft genug mit ihren Kontrollen, aber da muß ich sie in Schutz nehmen. Um diesen Mord aufzuklären, muß man weiter zurück in die Vergangenheit gehen. Ich denke, daß der Mord etwas mit dem Palazzo zu tun hat. Und zwar mit dem, was man sich darüber erzählt.«
»Jetzt wird es spannend.«
»Nein, das liegt ja weit zurück.«
»In der Vergangenheit also?«
»Ja, die Familie Fenini. Sehr groß, sehr mächtig, sehr unmenschlich, wie man sagt.«
»Wieso unmenschlich?«
»Kann ich auch nicht genau sagen. Jedenfalls hat sich diese Familie nicht eben proper benommen. Es sind da einige Dinge vorgefallen, über die man besser schweigt.«
»Gut, Luigi, gut. Aber ich sehe noch immer keinen Grund dafür, daß sich kein Einheimischer traut, den Palazzo zu kaufen.«
Er überlegte einen Moment und winkte einem vorbeifahrenden Kollegen zu. »Es hängt wohl mit der Tragödie zusammen, denn in einer Nacht, sie liegt einige hundert Jahre zurück, ist es dann passiert. Jemand aus der Familie drehte durch. Bei einem Fest hat er alle Mitglieder umgebracht. Es war im Karneval, wo sich die Maskenträger auf den Plätzen und auch auf den Kanälen breitmachten. Da passierte im Palazzo der Ferrinis das Schreckliche.«
»Wie konnte es zu dieser Bluttat kommen?« fragte ich weiter.
»Das wissen die Götter oder die Bewohner der Hölle…« fügte er düster hinzu. »Sie kennen den Grund nicht?«
»Nein.«
»Was munkelt man denn?«
Er hob die Schultern. »Das meiste ist natürlich in Vergessenheit geraten, aber die Leute reden hier davon, daß dieser Palazzo ein verfluchter Ort ist. Hinter den Mauern soll sich das Böse noch gehalten haben, erzählt man. Es gab Leute, die haben den Palazzo betreten, und sie sind anschließend, wahnsinnig vor Angst, aus ihm geflohen. Es war einfach grauenhaft. Sie haben auch nicht viel darüber gesprochen. Die Erinnerung an das Erlebte muß sie stumm gemacht haben.«
»Kamen sie auch ohne Gesicht?« fragte Suko.
»Das weiß ich nicht.«
»Was könnten sie denn gesehen haben?«
Luigi hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht wissen.«
»Und nun ist es wieder passiert, nicht wahr?«
Er schaute mich an. Seine Augen waren groß geworden, in ihnen schimmerte die Furcht. »Si, es ist abermals passiert. Der Mann, der den Palazzo betrat, wurde im Kanal gefunden, ohne Gesicht, das will ich noch mal betonen.«
»Man hat es ihm also gestohlen«, murmelte ich.
»So sieht es aus.«
»Und wie ist das möglich?«
»Fragen Sie die Götter oder den Teufel, aber nicht mich, Signore.« Er deutete schräg über das Wasser zum rechten Ufer hin. »Wir sind übrigens gleich am Ziel.«
Während ich meine Blicke über die grauen und manchmal grünlich oder leicht gelblich schimmernden Fassaden gleiten ließ, erkundigte ich mich nach dem genauen Standort.
»Sehen Sie dort hinten die Anlegestelle? Hinter den beiden Laternen…«
»Die sehe ich.«
»Etwas weiter links davon, tief im Schatten, steht ein graues Gebäude. Es wirkt vernachlässigt, ein wenig verfallen, zumindest nach außen hin, aber im Innern hat sich etwas getan, wie ich hörte. Und genau dort müssen Sie hin. Das ist der Palazzo Ferrini.«
»Danke.«
»Keine Ursache.«
»Kann man dort anlegen?« fragte Suko.
»Si, das werden wir.«
Luigi schaute sich um, ob kein anderes Boot seinen Weg kreuzte. Dann fuhr er schräg auf das andere Ufer zu, wobei wir die Laternen passierten und für wenige Augenblicke von ihrem tiefgelben Licht erfaßt wurden.
Wir erlebten einen Tag, der nicht richtig hell werden wollte.
Querwellen zielten gegen unser Boot, erwischten es, sorgten für Spritzfontänen, die auch über Bord wirbelten und auf den Planken kleine Schaumstreifen hinterließen. Der steife Wind hatte das Wasser unruhig gemacht, besonders hier in dem breitesten Kanal. Die Rialto-Brücke hatten wir noch nicht erreicht, und wir würden auch bis dorthin nicht fahren.
Luigi war ein Fachmann. Trotz des relativ hohen Wellengangs lenkte er das Boot sicher auf die Anlegestelle zu, stellte es quer, und so
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