Blutspuk in Venedig
schaukelten wir der Mauer entgegen, wobei unser Fahrer die Leine packte und sie zielsicher um den Pfosten schleuderte, dessen Farben zu dieser Zeit blaß aussahen.
Aus beinahe traurigen Augen und so, als wollte er Abschied nehmen, schaute uns Luigi an. »Jetzt wünsche ich Ihnen viel Glück«, flüsterte er.
»Das meine ich ehrlich. Ich möchte Sie nicht ohne Gesicht und im Wasser treibend wiedersehen.«
»Davor werden wir uns schon hüten«, sagte ich und holte englische Geldscheine aus der Tasche.
»Damit ist mein Kollege auch bezahlt worden.«
»Ein schlechtes Omen?« fragte ich und drückte ihm die Scheine in die Hand.
Er schaute sie eine Weile an. »Hoffentlich nicht.«
»Wir werden sehen.« Ich bedankte mich noch einmal für die wertvollen Informationen und stieg aus. Neben Suko, der das Boot bereits verlassen hatte, stellte ich mich hin, praktisch in Greifweite zur grauen Fassade des Palazzo.
Luigi taute sein Boot los. Er winkte uns noch einmal zu, dann legte er ab und fuhr der Mitte des Kanals entgegen.
»Der Mann hat Angst«, stellte Suko fest.
»Und was hast du?«
»Hunger, aber ich verspüre auch eine gewisse Spannung und Neugierde.«
»Und du hast keine Sorge, daß du dein Gesicht verlieren könntest. Das wäre doch für dich als Mensch aus Asien wirklich schlimm, denke ich mal.«
»Hör auf mit den alten Sprüchen. Mir ist etwas anderes aufgefallen. Wenn ich mich hier so umschaue, komme ich mir isoliert vor. Wir sind die einzigen, die sich in der Nähe des Palazzo aufhalten. Er wird von anderen gemieden. Hier laufen keine Menschen her, und hier legt auch kein Boot an. Niemand will etwas mit den Ferrinis zu tun haben.«
»Aus gutem Grund«, sagte Suko grinsend. »Die Familie scheint nicht sehr beliebt gewesen zu sein.«
»Das stimmt.«
»Fragt sich nur, was davon noch übrig ist.« Suko deutete gegen die Mauern. Auch ich drehte mich um und ließ meinen Blick an den Außenseiten der Fenster entlangschweifen. Das Glas war zu blind, um hindurchschauen zu können, aber nicht schmutzig genug, als daß sich nicht ein Teil der Umgebung hinter uns darin widergespiegelt hätte. Ich sah den Kanal, ich sah auch schattenhaft die Bauten an der anderen Uferseite, und mir viel auf, daß ein Boot sehr langsam an diesem Palazzo entlangtuckerte, wobei die Person, die das Boot gemietet hatte, aufrecht in der Nähe des Hecks stand.
Ich erkannte, daß es eine Frau war, drehte mich von den Fenstern weg und um und war nicht mal überrascht, die Schöne aus dem Zug entlangfahren zu sehen. Hatte sie uns ihr Gesicht zugedreht gehabt oder nicht?
Es war die Frage, auf die ich keine Antwort bekam, denn sie schaute nach vorn, als wäre das Wasser des Kanals etwas Besonderes und auch völlig Neues für sie.
Suko grinste mir zu. »Du hast sie auch erkannt?«
»Und ob.«
»Zufall?«
»Keine Ahnung. Zumindest hat sie sich zurückfallen lassen. Sie ist vor uns von der Anlegestelle am Bahnhof abgefahren. Wie dem auch sei, ich glaube nicht, daß es ein Zufall gewesen ist. Bei der dritten Begegnung werde ich sie ansprechen.«
»Tu das.« Suko hatte bereits in die Tasche gegriffen und den Portalschlüssel hervorgeholt. Er winkte mir damit zu. »Sollen wir hineingehen oder nicht?«
»Wozu sind wir hier?«
»Meine ich auch…«
***
Als die Tür hinter uns zugefallen war, hatten wir beide den Eindruck, in einer großen, kalten, frisch renovierten Gruft zu stehen. Es roch nach Farbe, Lack, Kleister und Feuchtigkeit, die wegen der geschlossenen Fenster nicht abziehen konnte. Kein unnatürlicher Geruch, denn von Rock Paretti wußten wir, daß er seinen Bau von innen bereits hatte renovieren lassen.
Wir waren nur kurz hinter der Tür stehengeblieben. Es gab nicht viel zu sehen, und die große Halle wirkte schon gespenstisch leer, weil wir kein einziges Möbelstück dort entdeckten. Jeder normale Schritt wurde von einem Echo begleitet, denn der Boden bestand aus teurem Marmor, wie es sich für Venedig gehörte.
Zwei mächtige Säulen stützten die Decke ab, an der alte Fresken kunstvoll und in den alten Farben nachgemalt worden waren, so daß sie aussahen wie von einem mittelalterlichen Künstler soeben vollendet.
Sie zeigten die Grundmotive der Welt oder des Menschen. Eben das immerwährende Wechselspiel zwischen Gut und Böse. So sahen wir Engel, die auf Dämonen niederschauten, und mir fiel auf, daß das Gute stets über dem Bösen schwebte.
Suko hatte mich allein gelassen und war vorgegangen bis zur Treppe. Er stand
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