Blutspuk in Venedig
anders?«
»Es ist dunkel und wird bald Nacht.«
»Stimmt. Wenn Sie nicht wollen, werden wir uns allein auf die Insel fahren lassen.«
Claudia Ferrini überlegte. Sie schaute uns an und lächelte dabei, doch es sah nicht echt aus. Schließlich flüsterte sie: »Si, ich sehe schon, Ihnen kann man nichts vormachen. Sie gehören zu den Menschen, die alles durchführen, was Sie sich in den Kopf gesetzt haben. Sie würden auch allein auf die Insel fahren und das Grab suchen.«
»Das stimmt«, gab ich zu. »Auch wenn es länger dauern würde, bis wir es gefunden haben. So aber könnten Sie uns eine große Hilfe sein. Vorausgesetzt, Sie stimmen zu.«
Claudia zögerte noch. Sie nahm ihr Glas hoch und saugte es durch den Trinkhalm leer. Dabei verengten sich ihre Augen; sie schien nachzudenken. Als sie das Glas abstellte, hatte sie sich entschlossen.
»Ja, Signori, ich fahre mit Ihnen. Auch in der Nacht…«
***
Die Friedhofsinsel San Michele liegt nördlich der Stadt. Ihre Nachbarinsel, die Isola Murano, ist weltbekannt durch die Kunst des Glasblasens. Wer nach Murano wollte, der kam automatisch an San Michele vorbei.
Viele Touristen besichtigten die Friedhofsinsel, von der der österreichische Schriftsteller Ludwig Fels gesagt hatte, daß sie ein Treffpunkt der Generationen wäre.
Hier ging man mit dem Tod anders um. Man pflegte ihn ebenso, wie man die Gräber pflegte. Familien besuchten die Insel, standen vor den Gräbern ihrer Verstorbenen, hielten stumme Zwiesprache mit ihnen, aber vergaßen auch nicht das Leben, denn es gab noch genügend Plätze, wo sie picknicken konnten, tranken, sich trafen und unterhielten.
So gehörte der Tod und sein Platz eben auch zum Leben.
Wir würden es anders sehen. Zum einen besuchten wir die Insel nicht im Frühjahr oder Sommer und auch nicht bei Tageslicht, sondern mitten in der Nacht.
Zum Glück hatten wir eine gute Führerin, die ihr Boot zielsicher durch die Kanäle gelenkt hatte. Bald erreichten wir die offene Lagune.
Leer, kaum Lichter, wie tot. Das Wasser wallte wie ein dunkler Teppich, auf dem wir uns bewegten.
Claudia Ferrini deutete mit dem Arm nach Norden. »Wir werden in etwas mehr als einer Viertelstunde den kleinen Hafen erreicht haben. Sie werden auch bald den Turm der Kirche San Michele sehen können.«
»Okay.«
Die Fahrt verbrachten wir schweigend. Wir hatten den Eindruck, als würde uns die Frau belauern. Die Aufgabe schweißte uns zwar zusammen, doch die Motive waren unterschiedlich. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß Claudia die Vernichtung der Maske wollte.
Für mich trieb sie ein besonderes Spiel, und dahinter wollte ich erst noch kommen.
Ich hätte mir einen sternenklaren Himmel gewünscht. Der Gefallen wurde mir nicht getan. Über uns funkelten keine Sterne, auch den Mond sahen wir nicht.
Die Wolkendecke war einfach zu dick. Hinzu kam ein unangenehmer Wind, der gegen unsere Gesichter blies und auch das Wasser unruhig machte, so daß die Wellen immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen und oftmals quer gegen das Boot klatschten. Dann hörte es sich an, als würden die Klauen aus der Tiefe steigender Ungeheuer gegen die Bordwand außen schlagen.
Es war still in unserer Umgebung, abgesehen vom tuckernden Geräusch des Motors. Auch dieser Laut störte mich auf dem Weg zum Ziel. Für mich war es eine andere Welt, die schon jetzt ihr Tor geöffnet hatte und uns einen Gruß entgegenschickte.
Roch ich die Verwesung, die verwelkten Blumen, die verwitterten Grabsteine?
Ich wußte es nicht. Ich konnte es mir vorstellen und ausmalen, denn in der Tiefe der Nacht bekamen derartige Friedhöfe noch einen besonderen Reiz.
Claudia Ferrini hatte recht behalten. Wir sahen zuerst den Kirchturm. Er ragte in die Höhe wie das Mahnmal der Toten an die Lebenden und hatte eine große Kuppel. Der Umriß war wie mit einem Messer aus der Dunkelheit herausgeschnitten worden.
»Wenn Sie den Friedhof sehen, werden Sie denken, in Manhattan zu sein. Statt der Häuser gibt es entlang der Wege eben Grabstätten.«
Ich hatte nach dem Grund des Vergleichs gefragt und auch eine entsprechende Antwort erhalten. »Das ist ganz einfach. Die Gräberfelder gleichen einem Schachbrett. Es gibt keine verschlungenen Pfade, man kann sich gut orientieren.«
»Löblich.«
»Und ihn umgibt eine Mauer.«
»Aber er ist kein Friedhof der Prominenz?«
»Ja und nein. Wenn wir die lokalen Größen als Prominente bezeichnen, dann schon. Sie finden aber auch das Grab eines
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