Blutspur in East End
erst ein paar Wochen her. Das war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Danach haben Tricia und ich Bella klargemacht, dass wir sie nicht länger bei uns haben wollen. Wenigstens hat sie klein beigegeben und sich verdrückt“, erklärte Eve. „Ich finde es schön, dass du jetzt da bist. Mit dir werde ich keinen Ärger haben, das spüre ich.“
Carol zwang sich zu lächeln. Eves freundliche Art war momentan der einzige Lichtblick in ihrem traurigen Leben. Am liebsten wäre sie nach Shrewsbury zurückgekehrt, hätte sich die Bettdecke über den Kopf gezogen und wäre nie wieder aufgestanden.
Aber das durfte sie nicht tun. Seit Jahren hatten sie und Tricia davon geträumt, gemeinsam in London zu leben und diese Metropole zu erobern. Wenn Carol jetzt in ihren Heimatort zurückkehrte, wäre das wie ein Verrat an ihrer toten Freundin gewesen. Jedenfalls kam es ihr so vor.
Carol spürte, dass ihre Augen schon wieder feucht wurden. Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ich sollte mich allmählich zusammenreißen. Tricia wird bestimmt bald beerdigt. Es wird schrecklich für mich sein, dort hinzugehen, aber ich könnte es mir nie verzeihen, mich nicht von ihr verabschiedet zu haben.“
„Tricia konnte froh sein, eine Freundin wie dich gehabt zu haben“, bekräftigte Eve.
Ihre Worte taten Carol gut, aber sie wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. Zum Glück klingelte das Telefon. Eve stand auf und ging zu dem Festnetzapparat, der an der Wand im Korridor hing. Das Gespräch dauerte nur kurz, aber Carols neue Mitbewohnerin hörte sich plötzlich sehr aufgeregt an. Schnell kehrte sie in die Küche zurück. Carol sah, dass sie völlig durcheinander war.
„Was ist passiert?“, fragte Carol.
„Ja, ich – ich kann es kaum glauben. Inspektorin Shepley hat angerufen. Die Polizei hat Tricias Mörder verhaftet. Und er hat auch schon ein Geständnis abgelegt!“
3. KAPITEL
Die Beerdigung war bereits für den nächsten Tag angesetzt. Tricias Eltern wollten ihre Tochter in Shrewsbury beisetzen, sodass Carol wieder in ihren Heimatort reiste. Eve kam nicht mit, denn sie hatte Tricia nicht so nahegestanden wie Carol, und in Shrewsbury kannte Eve keine Menschenseele.
Carol wusste später selbst nicht mehr, wie sie die Beisetzung überstanden hatte. Es war schrecklich, Tricias Eltern und ihren Bruder Danny so traurig sehen zu müssen. Doch auch ihre eigenen Eltern hatten es ihr nicht gerade leicht gemacht.
„Schatz, willst du wirklich in London bleiben? Dort ist man seines Lebens nicht sicher.“ Mit diesen Worten hatte Carols Mutter versucht, sie von ihren Plänen abzubringen. Aber Carol blieb standhaft. Sie musste einfach in die Hauptstadt zurückkehren, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Außerdem hatte es auch in Shrewsbury vor Kurzem einen Mord gegeben. Ihre Mutter konnte also nicht behaupten, dass man in der Provinz vor Kriminalität sicher sei.
„Ich werde in London studieren, Mom. Ihr wart doch so stolz, als ich einen Studienplatz an der Westminster School bekommen habe. Ich will meine Zukunft nicht aufs Spiel setzen.“
„Du klingst schon so ehrgeizig wie Tricia, Schatz. Sie hat immer nach ihren Chancen gesucht und sie ergriffen. Es ist traurig, dass sie sterben musste.“
Diese Worte ihrer Mutter gingen Carol immer wieder durch den Kopf, als sie sich auf dem Rückweg nach London befand. Sie war vom Friedhof aus direkt zum Bahnhof gegangen. An der anschließenden Trauerfeier wollte sie nicht mehr teilnehmen, denn das wäre über ihre Kräfte gegangen. Es war schon schmerzlich genug gewesen, Erde auf den Sarg ihrer besten Freundin zu werfen.
Nachdem Tricias Mörder endlich gefasst war, wich Carols Trauer einer finsteren Entschlossenheit. Sie wollte dem Mann gegenübertreten, der ihre Freundin auf dem Gewissen hatte. Die Rachefantasien spukten immer noch durch ihren Kopf. Doch der Kerl saß hinter Gittern. Die Polizei würde schon dafür sorgen, dass sie ihm nicht gefährlich werden konnte. Aber was hätte Carol ihm antun können? Sie besaß ja noch nicht einmal eine Waffe.
Außerdem war Carols erster Zorn inzwischen verraucht. Sie konnte sich nicht ernsthaft vorstellen, einen Menschen zu töten – selbst Tricias Mörder nicht. Aber sie musste einfach wissen, wer dieser Typ war und warum er die Tat begangen hatte.
Bis zu Semesterbeginn war noch Zeit, die Carol nutzen wollte, um die Wahrheit über Tricias Tod herauszufinden.
Auf der Visitenkarte, die
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